Der Eid der Heilerin
verschwitzt. Hinter ihm folgten Margaret, Jassy und Perkin Wye. Letzterer brachte Cob Lin- ton mit, einen großen, kräftigen Kerl aus den Stallungen, der vielleicht ein bisschen langsam, dafür aber sehr stark war.
»Vater, wir müssen den Körper wegschaffen. Aber zuerst sollten wir für die arme Seele ein Gebet sprechen.«
Der Pfarrer sah höchst unglücklich drein. Natürlich hatte Jassy ihm gesagt, was sie von Anne erfahren hatte - dass Aveline sich selbst gerichtet hatte. Nun befand er sich in einem schrecklichen Zwiespalt. Selbstmord war eine Todsünde, die arme Frau durfte also nicht in geheiligter Erde bestattet werden. Und da sie bereits tot war, konnte sie auch nicht die letzte Ölung erhalten. Es war ein grauenvoller Gedanke, dass Avelines Seele höchstwahrscheinlich in diesem Augenblick in die Hölle fuhr, denn sie war nicht nur eine Mörderin, sondern hatte auch ein zweites Leben vernichtet, nämlich ihr eigenes. Der Pfarrer stand in der gleißenden Sonne und zitterte, zu schrecklich war die Vorstellung von dem ewigen Feuer in Satans Reich.
»Master Mathew, diese Frau ist ohne Absolution gestorben und hat sich, wie mir scheint, der schrecklichsten Sünde schuldig gemacht. Ich kann ihr den Trost der Kirche nicht spenden, vor allem nach der Art und Weise, wie sie gestorben ist. Aber der Herr kann sich auch des schlimmsten Sünders erbarmen. Deshalb bleibt uns vielleicht nur unser Mitgefühl, so wie der Herr es uns gezeigt hat.« Der Pfarrer kniete einen Augenblick nieder, die anderen taten es ihm gleich. Dann erhob er die Hände, segnete den Leichnam, murmelte ein Gebet und flehte um Erbarmen für die arme Seele.
Die Bergung der Leiche erwies sich als einfacher als erwartet. Cob hatte auf Anweisung von Perkin zwei Leitern an je eine Seite der Mauer gelehnt. Als er und Perkin Avelines Körper zu fassen bekamen, ließ dieser sich ohne Schwierigkeiten von den Spitzen heben.
In der Küche von Blessing House, wo die Dienerschaft ihr Mittagsmahl einnahm, musste Perkin jede blutige Einzelheit berichten. Zum Missfallen mancher Zuhörer erzählte er ohne große Übertreibung, der Körper der Toten habe sich leichter von den Spitzen heben lassen als ein Hecht vom Haken. Natürlich sei sie sehr leicht gewesen, völlig abgemagert, sonst wäre es gewiss schwieriger gewesen. Wäre sie dicker gewesen oder hätte eines dieser neumodischen Korsetts getragen - die nach Meinung von Perkin ein Werk des Teufels waren, denn der natürliche Wuchs von Frauen sollte nicht behindert werden dann wäre es zweifellos ein hartes Stück Arbeit geworden, und die Spitzen hätten sie nicht so leicht freigegeben.
Anne stand im Hintergrund und versuchte nicht hinzuhören. Sie war gebeten worden, einige Speisen ins Sonnenzimmer zu bringen, was aber bedeutete, dass sie sich den neugierigen Blicken und dem Gewisper der anderen Dienstboten aussetzen musste.
Maitre Gilles zeigte wie immer Verständnis für ihre Lage. Er unterhielt sich lebhaft mit ihr, während er eigenhändig das Essen zusammenstellte. Laut erörterte er, ob frisch geschlachtetes Hühnerfleisch besser in Safranbrühe oder in Milch mit einer Prise Estragon gesotten werden sollte. Auf diese Weise füllte er die Zeit, die Anne brauchte, um auf Margarets kostbarem Messingtablett frisches Weißbrot und einen kleinen Krug Ale herzurichten. Dann gab Gilles die Hühnerbrust auf einen Zinnteller und begleitete Anne bis zur Tür in der Küchenwand, damit niemand sie aufhalten konnte. Er versicherte ihr, er hebe ihr etwas zu essen auf, und sie brauche auch keine Angst vor Lästermäulern zu haben.
Als der Koch Anne das Tablett reichte, lösten seine freundlichen Worte fast den Knoten, der ihre Kehle zuschnürte. Aber Tränen würden jetzt auch nichts helfen, also konzentrierte sie sich auf dem Weg ins Sonnenzimmer darauf, nichts zu verschütten.
Sie war in die Küche geschickt worden, nachdem Mathew und John Lambert sie ausführlich und streng verhört hatten. Ihre Fragen waren so ins Detail gegangen, dass sie einen schrecklichen Augenblick lang fürchtete, sie gäben ihr die Schuld an Avelines Tod. Vor allem Mathew war sehr streng gewesen und hatte sich unerbittlich den genauen Ablauf der Ereignisse schildern lassen. Am Ende jedoch hatte er eingeräumt, dass sie keine Schuld an der Tragödie treffe, und nach einem zustimmenden Blick von John Lambert hatte er das Mädchen in die Küche geschickt, um für die Herrin etwas zu essen zu holen.
Als Anne zurückkam, waren die beiden
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