Der Eid der Heilerin
Kichern.
»Naja, aber wenigstens ist es sauber«, gab Evelyn fröhlich zurück. »Beeil dich, Anne, die alte Hexe kommt gleich zurück, und wenn wir nicht fertig sind, ist der Teufel los.«
Bereitwillig half sie Anne aus dem hochgeschnittenen, schwarzen Kleid und streifte ihr das rote Kleid mit dem eingestickten Wappen der Königin über. Es war viel zu weit für Anne, aber Evelyn schnürte es unter Annes Brüsten mit einem breiten, schwarzen Gürtel zusammen, so dass der feine Wollstoff in gefällige Falten fiel. Dann nahm Evelyn Anne die schlichte Haube ab, bürstete ihr dickes, glänzendes Haar aus und kämmte es straff zurück.
»Und die Kopfbedeckung?« Evelyn stöberte ungerührt in den Habseligkeiten der anderen. »Ah, das wird dir stehen.« Sie hatte einen niedrigen Hennin aus verstärktem, rubinrotem Samt sowie einen zarten Schleier gefunden, der daran befestigt wurde - beides aus Roses Truhe.
Dorcas riss beide Stücke an sich. »Hier. So etwas kannst du ohnehin nicht.« Sorgfältig setzte sie Anne den kegelförmigen Hut auf und arrangierte den Schleier so, dass er über ihre Schultern fast bis zum Boden fiel.
»Sie sieht viel zu vornehm aus für eine Zofe. Sie muss Acht geben, dass die Königin nicht eifersüchtig wird.« Jane musterte Anne kritisch.
»Achte nicht auf sie.« Evelyn streichelte freundlich den Arm ihrer neuen Freundin. »Aber sie hat Recht, du siehst wirklich hübsch aus.«
»Tatsächlich?« Evelyns freundliche Worte und ihre bewundernden Blicke überraschten Anne.
Dame Jehanne betrat eilig den Raum. »Los, ihr Mädchen. Rose ist gerade fertig mit der Königin und wird unten in der großen Halle zu uns stoßen. Beeilt euch.« Sie klatschte laut in die Hände.
Gehorsam stellten sich die Mädchen paarweise auf, nur Anne, die nicht recht wusste, was von ihr erwartet wurde, stand unsicher daneben.
»Komm, Kind, du gehst mit mir.« Jehanne winkte Anne an ihre Seite. »Denkt daran, kein unziemliches Gaffen zu den Männern und keine losen Worte. Ist das klar, Jane?«
Jane verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts. »Jane, ich rede mit dir. Was hast du mir zu sagen?« Die Autorität in Jehannes Stimme war nicht zu überhören.
Jane deutete einen Knicks an. »Sehr wohl, Mistress. Es tut mir Leid, dass Ihr so von mir denkt.«
Jehanne stieß ein leises Schnauben aus, schien aber mit Janes Antwort zufrieden zu sein. »Nun gut. Und jetzt sputet euch, Mädchen.« Sie führte ihre kleine Schar aus der Stube und schloss sich dem endlosen Strom von Höflingen und Dienstboten an, die auf den großen Saal zustrebten, wo gegen Mittag das Essen serviert wurde.
Die Mädchen waren die eigentlichen Leibdienerinnen der Königin, im Unterschied zu den Hofdamen, die der Königin ebenfalls aufwarteten, deren Hauptaufgabe aber darin bestand, ihr Gesellschaft zu leisten und sie zu unterhalten. Jehanne führte ihre Mädchenschar an ihren Platz unterhalb der hochgeborenen Dienerinnen der Königin, jedoch deutlich abgesetzt von den niederen Palastangestellten, die keinen Zutritt zu den privaten Gemächern des Königs und der Königin hatten. Die zahlreichen Soldaten und auch einige der Edelleute warfen den Mädchen anerkennende Blicke und Bemerkungen zu, als sie in den Saal einzogen.
Anne war zutiefst eingeschüchtert. In Blessing House hatte sie häufig Mitglieder des Hofes zu Gesicht bekommen, und große Menschenansammlungen jagten ihr auch keine Angst mehr ein, aber dieser Lärm und diese Massen waren beängstigend. Sie waren wie ein riesiger, summender Bienenschwarm, jederzeit bereit, sich auf das Futter zu stürzen und wieder auszuschwärmen. Wohin sie auch blickte, überall wogten bunte Farben. Die Gewänder der Höflinge waren prachtvoll, die der Männer oft farbenprächtiger als die der Frauen. Üppige Gobelins schmückten die Wände und lockten den Betrachter an. Die glänzenden Tafeln aus Gold und Silber, die hinter dem Baldachin des Königspaares aufgestellt waren, waren das Wertvollste, was sie je gesehen hatte. Und an Edwards Platz stand sogar ein goldenes Salzfasschen in Form einer von Riesen belagerten Burg. Auch die Musik durfte nicht fehlen: Auf einer Empore sang ein Knabenchor, begleitet von einem kleinen Orchester aus Gamben, Posaunen und Tamburins. Sie sangen eine liebliche, französische Weise über den Grünen Ritter und sein verlorenes Liebchen.
Anne wäre am liebsten stehen geblieben, um ihnen zu lauschen. Die süßen, wehmütigen Worte jagten ihr einen Schauder über den Rücken, und
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