Der Eid der Heilerin
verschwinden. Sie würde in ihrer aller Leben eine Lücke hinterlassen, die nicht leicht zu schließen wäre.
Margaret verscheuchte die Wehmut, die sie überkam, als das Mädchen sich vor ihr verneigte, und überraschte ihren Mann damit, dass sie aufstand und das Mädchen umarmte wie eine Tochter, die für immer ihr Elternhaus verlässt. »Liebes Kind, wir wohnen nicht weit entfernt, vergiss das nicht. Wir haben stets ein offenes Ohr für dich.«
Als Margaret sie sanft küsste und ihr ein kleines Päckchen überreichte, war Anne den Tränen nahe vor Rührung. »Wir wollen dir das hier schenken. Es ist von uns beiden. Mach mir die Freude und packe es aus.«
Vorsichtig zog Anne die Schleife um das schwarze Samtpäckchen auf und wickelte es aus. Darin lag eine zarte Goldkette mit einem kostbaren, mit winzigen Granaten und Perlen besetzten Kreuz.
Das filigrane Kreuz besaß eine ungewöhnliche Form, denn hinter den Querbalken befand sich ein Kreis, wie er bei den Steinkreuzen im Westen und Norden des Königreichs oft zu sehen war, jenen Gegenden, wo das Christentum als Erstes Einzug gehalten und sich mit den überlieferten Volksreligionen verbunden hatte. Anne blickte zu Margaret auf und versuchte etwas zu sagen, doch sie brachte kein Wort über die Lippen.
Margaret legte ihr die Kette um und richtete sanft das
Kreuz so, dass es im Mieder ihres schwarzen Kleides verschwand. »So. Nun hast du etwas, das dich stets an deine Zeit bei uns erinnert. Etwas Vertrautes, das dir Kraft schenkt, wenn du betest. Ich weiß, dass du unser aller Mutter besonders zugeneigt bist, ich habe oft gehört, wie du zu ihr gebetet hast - sie wird dich erhören.«
Margaret lächelte und legte zart einen Finger auf die Lippen des Mädchens, als wollte sie sie am Sprechen hindern. Anne vermutete, dass Margaret von ihrem Glauben an die anderen Götter wusste, jene Götter ihrer Kindheit in den Wäldern des Westens. Sie war Margaret dankbar, dass sie es billigte und verstand. Der Kreis und das Kreuz würden ihr in der Tat Kraft spenden, wenn sie betete.
Nun kniete Anne vor Mathew und Margaret nieder und küsste ihnen höflich die Hände. »Ich werde immer dankbar sein für Eure Güte und für alles, was Ihr für mich getan habt.«
Auf ein Zeichen von Margaret half Jassy dem Mädchen auf die Füße, dann verließ sie Blessing House. Als sie durch die große Haustür trat, warf sie einen letzten Blick zurück und sah Mathew und Margaret dort sitzen wie die steinernen Bildnisse von Maria und Jesus in der großen Abtei.
Die Tür wurde hinter ihr geschlossen, und man hob sie auf ein gedrungenes Pferd, das von einem Soldaten in den Farben der Königin, braun und schwarz, geführt wurde. Zwei weitere Soldaten begleiteten sie auf ihrem kurzen Ritt zum Palast. Einer von ihnen hob ihre Reisetruhe hinter ihr auf den Sattel. »Rück ein Stück, Mädchen, ich habe keine Lust, das bis nach Westminster zu tragen.«
Er stöhnte übertrieben über das Gewicht ihrer Habseligkeiten und warf ihr ein gewinnendes Lächeln zu. Er wusste, dass er nicht schlecht aussah, auch wenn er erst kürzlich bei einer Schlägerei einen Schneidezahn verloren hatte. Er rechnete sich Chancen bei dieser appetitlichen, neuen Kammerjungfer der Königin aus. Doch als sie den Mund öffnete, änderte er seine Meinung schlagartig.
»Verzeiht die Unannehmlichkeit, Sir. Mir war nicht klar, dass mein Koffer so schwer ist.«
Ihre Aussprache war vornehm, beinahe französisch, und sie sah ihn so ernst an, dass er sich einen Augenblick lang fragte, ob er sich geirrt hatte. Dieses Mädchen konnte keine Dienerin sein, oder doch? Eher eine arme Verwandte. Aus Furcht, sie beleidigt zu haben, sagte er betont höflich: »Lady, äh, ah, ich ... ich meine, er ist eigentlich nicht schwer. Ich habe nur einen Spaß gemacht... Mann! Hierher. Ich übernehme das.« Der Offizier riss dem anderen Soldaten die Zügel aus der Hand und schickte sich an, das Pferd und seine Reiterin persönlich durch die Menschenmenge zum Palast zu führen.
Die beiden anderen Wachen grinsten einander an und begaben sich vor und hinter dem Pferd in Stellung. Dann marschierten sie forsch und wichtigtuerisch durch die überfüllten Straßen und brüllten die Passanten an, den Weg frei zu machen. Sergeant John-at-Hey hatte sich offenbar geirrt. Das war keine kleine, süße Dirn - das war eine Lady. Es würde ein großes Hallo geben, wenn sie heute Abend die Geschichte im Wheel and Dragon zum Besten gaben, einem Gasthaus im nahe
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