Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Verständnislosigkeit gegenüberstanden.
»Narren Gottes« hatte Frau Walburga Nikolaus und seine Anhänger genannt und damit sowohl Bewunderung als auch Befremden ausgedrückt. Die Bauern von Airolo hätten das nicht so trefflich ausdrücken können, aber in ihrer Haltung den Kreuzfahrern gegenüber spiegelte sich die gleiche Ansicht wider. Und ein gesundes Misstrauen gegenüber Nikolaus’ engerem Kreis.
»Tut mir leid, eine Herberge kann ich Euch nicht mehr anbieten«, meinte der Dorfvorsteher zu Gisela. »Die hat der junge Ritter aus der Vorhut gleich für seinen Herrn requiriert – und die Mönche residieren da auch. Komisches Volk, diese Braunkutten. Sie kommen auch sonst manchmal hier durch, aber dann meist als Bettler. Hoffnungslose Träumer. Wenn wir eben können, schicken wir sie zurück oder nur in Begleitung eines der Unsrigen über den Pass. Sonst sind sie verloren, sie haben keine Ahnung, auf was sie sich einlassen. Aber hier hat man sie ja in Scharen … Und sie treten auf, als hätten sie was zu sagen …«
Konstanze brauchte etwas Zeit, um nachzuvollziehen, dass der Mann von den Franziskanern sprach. Aber die Beobachtungen der Bergbewohner bestätigten letztlich nur ihre und Armands bisherigen Erkenntnisse: Es waren vor allem Minoritenmönche, die Einfluss auf Nikolaus ausübten.
»Jedenfalls ist die Herberge voll, und ich kann nur hoffen, dass der Wirt wenigstens ein paar Pfennige dafür kriegt … Wenn Ihr also mit meiner Scheune vorliebnehmen würdet …«
Der Dorfvorsteher verbeugte sich artig, und Gisela beeilte sich, ihm zu versichern, dass die Scheune durchaus ausreiche. Tatsächlich gehörte sie zu den komfortabelsten Quartieren,die sie während des Kreuzzuges gehabt hatten. Dimma breitete Decken über dem würzig duftenden Heu aus und wies den Kindern ihre Schlafplätze an. Sie waren alle wohlauf, wenn auch todmüde. Nachdem sie sich an der frischen, noch kuhwarmen Milch gelabt hatten, die ihnen die Bäuerin brachte, schliefen sie sofort ein.
Gisela richtete derweil liebevoll ein bequemes Lager für Armand, und Konstanze und Dimma ließen sie gewähren. Rupert und Magdalena hatten sich gleich nach der Ankunft verabschiedet, um Nikolaus endlich wieder zu Füßen zu sitzen.
»Aber du kannst nicht wieder in Armands Armen schlafen!«, sprach Dimma streng aus, was Konstanze nur dachte. »Nicht nur wegen Rupert, es ist zudem nicht schicklich. Die Bauern werden ohnehin schon einen schönen Eindruck von uns kriegen, wenn sich ihnen all die Huren im Heer spätestens morgen anbieten!«
Konstanze befürchtete, dass sie Magdalena da einschloss. Sie musste sich unbedingt mehr um das Mädchen kümmern. Aber nicht in dieser Nacht … In den letzten Tagen hatte sie zu viele Tote gesehen. Wenn sie Nikolaus und seinen Mönchen heute zu nahe kam, würde sie ihnen die Augen auskratzen!
Der Bergführer aus Hospental und die Knechte mit den geliehenen Saumtieren waren gleich umgekehrt, als sie die erste Kohorte sicher in Airolo abgeliefert hatten. Sie geleiteten bald die zweite und dritte Gruppe ins Dorf und hatten es dann eilig. Oben auf dem Pass hatte es wieder zu stürmen begonnen. Man musste sehen, dass man auch die letzten Kreuzfahrer zügig über die vereisenden Wege leitete. Je weiter der Tag fortschritt, desto kleiner wurden die Abstände zwischen den Kohorten. Die Einteilung der Kinder in Gruppen bewährte sich – und Armand dachte mit einer Mischung aus Wehmut und Wut, wie viele Leben man hätte retten können, wenn man eine solche schon Wochen früher vorgenommen hätte.
Er selbst erreichte das Dorf in der Dämmerung, durchnässt, von Schmerzen geplagt und zu Tode erschöpft. Er glaubte, sich keinen Herzschlag länger auf dem Pferd halten zu können, aber dann fand er doch noch Kraft, zu seinen Kohortenführern zu sprechen. Die Jungen, alles kräftige Kerle zwischen vierzehn und sechzehn, hatten sich durchweg bewährt, und Armand versicherte ihnen, er sei stolz auf seine Männer. Keine Armee von Knappen und Rittern hätte es besser machen können, und es sei vor allem ihr Verdienst, dass man an diesem Tag kein einziges Kind, keine Frau und keinen Mann verloren habe. Die Jungen jubelten, als er ihnen die Zahl der Geretteten verkündete. Armand und seine Männer hatten sechshundert erschöpfte, schlecht ausgerüstete junge Menschen unbeschadet über die härteste Passstraße der Alpen geführt.
Nikolaus betrauerte mit süßer Stimme eintausend Tote.
Der Eid der Kreuzfahrer
Spätsommer
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