Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
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Kapitel 1
Es dauerte weitere drei Tage, bis auch die allerletzten Nachzügler die Passstraße geschafft hatten. Das Heer erwartete sie in Airolo, und wieder gab es Tote zu beklagen. Die Menschen von Andermatt und Hospental hatten zwar ihr Bestes getan, um auch die Kinder der Nachhut über den Gotthard zu geleiten. Aber hier kam oft jede Hilfe zu spät.
»Die Leute waren einfach zu schwach«, erzählte der gutmütige Senner, der auch diesen Trupp für Gotteslohn geführt hatte. »Die meisten waren kaum mehr bei sich, als sie in Hospental ankamen. Die Herrin Walburga wollte die Siechen aufnehmen und pflegen, aber ein paar drängten selbst mit erfrorenen Füßen noch über den Pass! Es war unheimlich … Sie schleppten sich dahin wie lebende Tote. Und dann sind sie natürlich gestorben wie die Fliegen. Wir haben oben bei der Einsiedelei übernachtet – an einem Tag war es mit der Horde nicht zu schaffen. Und am Morgen lagen wir Seite an Seite mit den Leichen. Sie sind einfach hinübergegangen … vor Kälte, vor Erschöpfung … wir haben getan, was wir konnten, Monseigneur Armand. Aber ich sag Euch, da sterben noch mehr, bis Ihr im heiligen Jerusalem ankommt. Und meiner Treu … Verzeiht mir, aber ich glaub’s nicht, dass sich die Wasser teilen!«
Armand verabschiedete den Mann mit allen guten Wünschen und überlegte, warum nicht auch die Mönche und die Leibwächter Nikolaus’ sich fragten, was dieser einfache Mensch ihm vortrug: Wenn Gott das Meer für die Kinder teilen wollte – warum dann nicht auch das Gebirge?Armand verbrachte die Ruhetage in Airolo vor allem auf seinem Heulager. Er kurierte seine Prellungen halbwegs aus, während Konstanze sich auf die Spur von Magdalena setzte. Sie folgte dem Mädchen unauffällig und entrichtete widerwillig die Gebühren, die Roland forderte, wenn man an den abendlichen Versammlungen mit Nikolaus teilhaben wollte.
Schon wieder herrschte Nahrungsknappheit im Heer. Die vielen hungrigen Mäuler hatten den Bewohnern Airolos alles weggegessen, und die Bauern reagierten zunehmend aggressiv auf die immer neuen Forderungen. Das Dorf war nicht reich, und so großzügig die Menschen auch waren: Ihre kargen Wintervorräte konnten sie nicht an Nikolaus und die Seinen vergeben. Die Gauner im Heer verlegten sich auf die übliche Art der Nahrungsbeschaffung durch nächtliche Raubzüge – während sich Armands Kohortenführer zu seiner Verwunderung an ihn wandten.
»Monseigneur Armand, meine Kinder haben nichts mehr zu essen!«, meldete ein Junge namens Karl.
Er kam aus Sachsen, war ursprünglich ganz allein zum Heer gestoßen und hatte bislang keine großen Freundschaften geschlossen. Aber nun fühlte er sich verantwortlich für die fünfzig Heranwachsenden, die er über den Pass geleitet hatte. Gisela rührte das zu Tränen.
Armand sprach daraufhin mit dem Dorfvorsteher und erklärte die Lage. Der Mann war einsichtig, bat aber auch ihn um Verständnis.
»Wir können nicht noch mehr abgeben! Wann zieht ihr endlich weiter?«
Armand gab den Dörflern schließlich das restliche Geld der Templer und erstand damit Lebensmittel. Er wies Karl und die anderen Jungen an, den Bauern bei der Arbeit auf den Feldern und mit dem Vieh zu helfen und damit ihr Essen zu verdienen. Ein paar Bauernburschen nahmen sie mit auf die Jagd und kehrten mit dem Fleisch etlicher Gämsen, Steinböcke und Schneehühner zurück. Die Jungen entzündetenFeuer und brieten die Ausbeute am Spieß. Am Ende waren alle die besten Freunde, und der Vorabend der Weiterreise stand im Zeichen einer ausgelassenen Feier.
Die Kohortenführer brachten Armand selbstverständlich die besten Stücke, und Gisela revanchierte sich für die Spöttelei rund um den »Minnehof der Herrin Gisela von Bärbach«: Sie gab der Gruppe den Namen »Heer des Monseigneur Armand de Landes«.
Konstanze feierte nicht mit. Sie hatte sich den Zugang zu Nikolaus’ innerem Zirkel mit dem Viertel eines veritablen Bocks erkauft.
Magdalena brauchte Roland und seinen Freunden keine besonderen Dienste mehr dafür zu leisten, dabei zu sein. Sie blieb einfach im Gefolge von Wolfram, der sie unerwartet generös aufgenommen hatte. Wolfram hatte an Selbstbewusstsein gewonnen, seit man ihn auf der Hospenburg ganz selbstverständlich als Ritter akzeptiert hatte. Er beanspruchte nun ein gehöriges Mitspracherecht bei der weiteren Planung des Kreuzzuges und natürlich eine Frau für sich allein.
Seine Wahl fiel auf Magdalena, weil sie sauberer und
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