Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
ihre Schwerter hinwerfen und auf die Knie fallen und Gott mit uns gemeinsam loben!«
»Mit uns?«, fragte ein Junge aus der ersten Reihe.
»Ja, mit uns!«, rief Nikolaus. »Denn der Engel erwählte mich, diesen Kreuzzug zu führen, und er rief euch alle, er erwählte euch alle, das Wunder mit herbeizuführen und es zu sehen. Ihr alle sollt mit mir kommen in die goldene Stadt Jerusalem, und weinend wird der Sultan ihre zwölf Tore öffnen und uns einlassen, und Blumen wird man uns zu Füßen werfen. Und wir werden das Hosianna singen zusammen mit den Heiden, die dann keine Heiden mehr sind!«
Die Worte des Jungen schallten über den gesamten Domplatz. Die Menschen jubelten ihm begeistert zu, und ein paar Herzschläge lang ergab sich selbst Armand dem Zauber dieser Vision. Kein Blut mehr, keine Schwerter mehr. Keine Kämpfe und Feindschaften, sondern Seite an Seite mit Freunden den Herrn anbeten! Armand sah sich neben Malik al-Kamil vor dem Kreuz auf die Knie fallen, sah sich gemeinsam mit seinem Waffenbruder einstehen für die Kraft des Gebetes …
Aber dann schüttelte er jäh die Vorstellung ab. Nur weil ein paar Kinder beteten, würden die Sarazenen ihrem Propheten nicht abschwören. Und auch andere Verlautbarungen des »Engels« waren mit Vorsicht zu genießen. So etwa die Geschichte von den Qualen der Pilger im Heiligen Land. Natürlich war eine Pilgerreise nach Jerusalem gefährlich – Armand hatte den Alpenpass noch zu deutlich vor Augen, und auch die Durchquerung der Wüste war kein Zuckerschlecken. Aber von den Männern des Sultans hatten die Gläubigen nichts zu befürchten. Saladin, der Bezwinger Richard Löwenherz’ und Bruder des jetzigen Herrschers, hatte den Pilgern freien Zugang zu ihren heiligen Stätten gewährt, und al-Adil hielt sich an das Wort seines Vorgängers. Von eventuellenZwischenfällen hätten die Templer gewusst. Es gehörte zu den Aufgaben des Ordens, die Pilger zu beschützen.
»Und wie kommst du übers Meer?«
Das war ein Zwischenruf aus der Menge. Anscheinend war Armand nicht der Einzige, der Zweifel hegte.
Nikolaus’ Lächeln wurde überirdisch. »Das Meer wird sich vor uns teilen!«, versprach er seinen Zuhörern. »Wie sich damals das Rote Meer für Moses teilte! Trockenen Fußes werden wir hindurchwandern und das Goldene Tor Jerusalems wird uns leuchten …«
Das entsprach nicht den Tatsachen. Jerusalem lag nicht am Meer. Die Kinder würden in Akkon oder Jaffa an Land gehen müssen.
Armand brachte Nikolaus’ Engel immer weniger Vertrauen entgegen. Im Gegensatz zu dessen Zuhörerschaft. Die berauschte sich an der süßen Stimme des Knaben und seinen Versprechungen.
»So sagt mir nun: Wollt ihr mit mir ziehen? Wollt ihr das Königreich Gottes auf Erden errichten helfen? Denn genau das ist es, was der Engel mir versprochen hat: Wenn die Heilige Stadt erst befreit ist, beginnt ein Zeitalter der Liebe und des Friedens. Niemand wird mehr hungern und frieren. Niemand wird unglücklich sein und sich ängstigen. Gott wird für uns alle sorgen! Wenn wir nur seinen Plan erfüllen.«
Der Jubel der Menschen auf dem Platz kannte nun keine Grenzen mehr. Armand wunderte es nicht, als er sich umsah. Nur wenige Kinder hier waren gut gekleidet und genährt. Die weitaus größere Menge bestand aus Bettlern und Habenichtsen, bestenfalls Lehrjungen und Mädchen. Bei ihnen reichte schon die Aussicht auf das Goldene Zeitalter und immerwährendes Sattsein, um sie zu überzeugen. Die anderen, die Scholaren und Bürgerkinder, lockte eher das Abenteuer. Und da würden noch weitere hinzukommen.
»So werde ich denn meine Herolde aussenden!«, rief Nikolaus, nachdem einer der Mönche kurz mit ihm gesprochenhatte. »Wer von euch möchte für mich nach Sachsen ziehen? Nach Westfalen, Thüringen, Mecklenburg? Wer fühlt sich berufen, die Frohe Botschaft nach Holstein und Franken zu tragen? Auf dass sich alle Kinder des Reiches anschließen auf dem Weg nach Jerusalem!«
Erwartungsgemäß konnte Nikolaus sich vor Anwärtern kaum retten. Weinend vor Glück umarmte er jeden Jungen, der vortrat. Die weitere Auswahl, so erkannte Armand schnell, übernahmen allerdings die Mönche in seiner Begleitung. Sie würden keine Bettler schicken, sondern Bürgerkinder, vielleicht Adlige, die über Pferde verfügten. Der kleine Prophet segnete jetzt alle Anwesenden und rief die Jungen und Mädchen dann auf, den Kreuzfahrer-Eid abzulegen. Die Kinder, aber auch viele erwachsene Zuhörer, selbst Greise, stürmten
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