Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Kindern. Mädchen, die kleinere Geschwister an der Hand führten, Scholaren, die jetzt sicher in der Studierstube sitzen, statt durch die Stadt hätten ziehen sollen, und Lehrjungen, die kleine Besorgungen für ihren Lehrherren nutzten, sich selbstständig zu machen.
An diesem Tag folgte Armand ihnen zum Dom, und tatsächlich: Auf den Stufen vor dem Haupttor stand ein Junge.Ein zierliches Kind, höchstens zehn Jahre alt, ordentlich, aber schlicht gekleidet.
»Nikolaus! Da ist er, Nikolaus!«
Ein Mädchen neben Armand entdeckte den Knaben und winkte ihm zu. Andere taten desgleichen. Der Junge lächelte schüchtern zu ihnen hinunter. Er wurde flankiert von einigen Mönchen in graubraunen Kutten – Armand konnte ihre Ordenszugehörigkeit nicht ausmachen – und einem Mann, der dem Knaben ähnlich sah, dessen Gesicht allerdings weniger engelhafte als frettchenähnliche Züge aufwies.
Nikolaus’ Vater. Der Erzbischof hatte ihn erwähnt.
Auf dem Platz vor dem Dom sammelten sich jetzt die Kinder und Halbwüchsigen – einige schienen bereits hier genächtigt zu haben. Dazu kamen erwachsene Schaulustige, Bettler und Straßenmädchen. Für Letztere gab es jetzt noch nicht viel zu tun, und jede Unterhaltung war ihnen willkommen.
Der Junge auf den Stufen vor dem Dom schien noch warten zu wollen, aber die Mönche sprachen auf ihn ein und schoben ihn schließlich vor.
Armand musterte das Kind näher. Tatsächlich, der äußere Eindruck entsprach dem, was der Kölner Oberhirte gesagt hatte. Ein leibhaftiger Engel mit sanften, noch kindlich weichen Zügen – riesige blaue Augen, lockiges hellbraunes Haar, entzückende Grübchen und rosige Lippen.
»Man sagt, bis vor ein paar Tagen habe er noch in Schankstuben gesungen«, hatte der Erzbischof berichtet. »Der Vater macht sein Geld mit ihm. Von jeher, dabei sind sie von niederem Adel. Aber weiß Gott, wie der Alte sein Gut verprasst hat, oder ob er jemals welches hatte. Jedenfalls verkauft der Kerl das Kind – wobei der Kleine Glück hat, mit einer so goldenen Stimme gesegnet zu sein. Ansonsten müsste er sich wohl um andere Künste bemühen.«
Nikolaus begann nun zu reden.
»Ihr seid so viele«, sagte er zaghaft. »So viele … das macht mir fast Angst. Aber ich weiß, dass ich zu euch reden muss,denn Gott will es. Gott hat mir den Auftrag erteilt, und ich … ich kann nicht vor ihm davonlaufen.«
Nikolaus sprach mit tränenerstickter Stimme. Die Menschen auf dem Domplatz stöhnten erwartungsvoll.
»Seht, ich bin arm … so wie viele von euch. Mein Vater und ich müssen hart für unser täglich Brot arbeiten, und oft reicht es nicht, um des Abends in einer Schänke am Feuer zu sitzen und einen warmen Schlafplatz zu ergattern. Aber vor einigen Tagen lachte mir das Glück – ein Bauer vor den Stadttoren erlaubte mir, seine Schafe zu hüten. Nur für eine kurze Zeit, aber ich war doch stolz und glücklich, als ich mit den Tieren an den Rhein zog. Ich hatte etwas Brot und Käse, die Bauersfrau war unendlich gütig zu mir!«
Der Junge zeigte ein so überaus dankbares Lächeln, dass es selbst den skeptischen Armand mit Wärme erfüllte. Mit erhobener Stimme fuhr er fort.
»Und ich entzündete ein Feuer auf den Weiden am Ufer. Und dann geschah es. Ein Engel kam zu mir! Er trug das schlichte Gewand eines Pilgers – wie um mir schon zu zeigen, wohin mein Weg führen würde. Und dann erzählte er mir von den Pilgern im Heiligen Land. Welche Lasten sie auf sich nehmen, um die heiligen Stätten zu besuchen, und wie bitter es ist, Jerusalem in den Händen der Ungläubigen zu sehen. Der Herr Jesus, so meinte er, weine darüber im Himmel bittere Tränen, und er wünsche sich nichts mehr als neue Anstrengungen seiner Gläubigen, die Heilige Stadt endlich zu befreien. Aber in seiner unendlichen Gnade will er die Ungläubigen nicht mit Feuer und Krieg strafen! Nein, dieses Mal sollen sie selbst die Wahrheit erkennen, die Möglichkeit haben, umzukehren und auf die Knie zu sinken vor dem wahren Gott. Doch wer kann sie dazu bringen, fragte ich ihn. Wer verfügt über so viel Macht und Einfluss? Und dann verriet er mir ein Geheimnis: Der neue Kreuzzug soll ein Kreuzzug der Unschuldigen sein. Ein Kreuzzug der Kinder! Nicht mit Schwertern sollen wir kommen, sondern mit Gebeten. Nichtmit Belagerungsmaschinen, sondern mit fröhlichen Liedern auf den Lippen. Dann, so sagte der Engel, würden die Feinde des wahren Heilands erkennen, welche falschen Wege sie bisher gegangen sind. Sie würden
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