Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Rupertsberg berichtete.
»Aber warum bist du denn überhaupt eingetreten, wenn du es nicht wolltest?«, fragte das Edelfräulein. »Du hättest doch ebenso gut heiraten können.«
Konstanze wusste, worauf sie anspielte. Es gab Klöster, die Adelstöchter aufnahmen, deren Familien das Geld für eine Mitgift fehlte. Aber Rupertsberg gehörte nicht dazu. Die Klostergründungen der Hildegard von Bingen verlangten eine nicht minder große Mitgift von ihren Novizinnen wie eine adlige Familie von einer Braut bei der Einheirat.
Konstanze biss sich auf die Lippen. »Ich … hatte einflussreiche Gönner«, bemerkte sie. Und gestand dann, widerwillig, aber ehrlich, ihre Visionen.
»Dir ist der Herr Jesus erschienen?«, fragte Magdalena atemlos. »Wie … wie unserem Herrn Nikolaus?«
»Nikolaus ist nicht unser Herr!«, berichtigte Konstanze. Sie versuchte stets, die Begeisterung ihres Schützlings für den jungen Prediger in Grenzen zu halten. »Und – ja, ich habe … etwas gesehen. Aber mit mir haben die Visionen nie gesprochen. Und meine Voraussagen … na ja, ich habe eine braune Stute mit einem braunen Fohlen gesehen. Aber der Hengst war gleichfalls braun … Man braucht nicht die Gabe der Prophetie, um da richtig zu raten.«
Armand lachte. »In alter Zeit hätte man Euch zur Priesterin einer Göttin erkoren!«, neckte er sie. »Mutter Ubaldina, eine heilkundige Nonne aus Irland, die sich besonders gern mit Krankheiten des Geistes auseinandersetzt, hat mir erzählt, dass man in ihrem Land auch heute noch jungfräuliche Mädchen im Spiegel wundertätiger Brunnen lesen lässt.«
Konstanze blickte alarmiert auf. In ihren Augen stand Furcht. »So hält diese … Schwester … dies für geistige Verwirrung? Fällt man später dem Wahnsinn anheim?«
Armand schüttelte den Kopf. »Nein. Macht Euch bloß keine Sorgen. Aber es kommt wohl häufig vor, dass junge Mädchensolche Erscheinungen haben. Es vergeht, wenn sie … also früher meinte man, es verginge, wenn sie ihre Jungfräulichkeit verlören. Aber Mutter Ubaldina meint, es verlöre sich auch bei jungen Nonnen.«
Konstanze errötete mal wieder, nickte dann jedoch. »Auch bei mir schwand es in meinem dreizehnten Jahr«, gab sie zu und hüllte sich fröstelnd in eine Decke.
Gisela runzelte die Stirn. »Aber vorhin hast du erzählt, dass du nur mit nach Mainz genommen wurdest, weil …«
Konstanze biss sich auf die Lippen. Dann erzählte sie die ganze Wahrheit.
Armand konnte gar nicht mehr aufhören, darüber zu lachen.
»Die Heilkunde Avicennas als göttliche Vision! Das muss ich Ubaldina erzählen!«
Konstanze erschrak. »Nein, bitte nicht! Ihr dürft es niemandem erzählen, niemand soll wissen, dass …«
»Dass du deine Mitschwestern beschwindelt hast?«, fragte Gisela. »Wen schert das jetzt noch? Oder geht es darum, dass du nicht an Visionen glaubst? Auch nicht an … ganz bestimmte Visionen?«
Konstanze senkte den Kopf.
»Aber Nikolaus hat Stimmen gehört!«, meldete sich Magdalena aufgeschreckt. »Nicht nur Bilder gesehen!« Giselas Frage und Konstanzes Reaktion darauf machten dem Mädchen Angst. Es durfte nicht sein, dass seine Retterin Konstanze nicht an den Erfolg des Kreuzzugs glaubte! »Und Nikolaus ist ein Junge!«
Bevor jemand darauf etwas erwidern konnte, kehrte Rupert ins Lager zurück. Er wirkte müde und abgekämpft, aber er sah nicht aus, als habe er vor den Stadtbütteln fliehen müssen. Konstanze reichte ihm einen Becher Wein, den er schweigend herunterschüttete. Auf Armands fragenden Blick antwortete er mit einem Nicken. Odwin von Guntheim wurde nie wieder erwähnt.Am nächsten Morgen wiederholte sich der feierliche Auszug des Heeres aus den Mauern einer Domstadt. Wieder jubelten die Bürger den Kreuzfahrern zu, wieder sangen sie mit Nikolaus und den Kindern, und wieder schien zur allseitigen Erleichterung die Sonne.
Rupert verfolgte fast ungläubig, wie Wolfram von Guntheim auf seinem prächtigen Rapphengst direkt hinter dem Eselskarren des kleinen Heerführers ritt. Für die anderen, die den Eid des Knappen beobachtet hatten, war das keine so große Überraschung.
»Nikolaus hat seinen Ritter erwählt«, bemerkte Armand. Er ritt neben Gisela her und hatte, wie sie, je ein kleineres Kind vor sich und hinter sich auf den Sattel genommen. »Keine Rede mehr vom Abgeben der Waffen, weil dieser Kreuzzug ja ach so friedlich ist. Unser kleiner Heerführer lernt! Bleibt nur noch zu hoffen, dass der Kampf um Jerusalem nicht im Zweikampf
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