Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
schneller im Kochtopf und der Hund am Spieß, als sie ihr Gewicht in Wild erjagen könnten.«
Armand selbst wäre auch mit Pfeil und Bogen geschickt genug gewesen, Rotwild zu schießen. Aber er wagte nicht, die Waffe einzusetzen. Nach wie vor folgten Nikolaus um die zwanzigtausend Menschen, oft weit auseinandergezogen und im Wald verstreut, um nach essbaren Pflanzen zu suchen. Ein fehlgehender Pfeil konnte leicht jemanden töten. Und eine »kleine Treibjagd«, wie die unternehmungslustige Gisela vorschlug, lehnte er auch ab. Erstens fehlte ihm jegliche Lust, sich mit seinem Schwert einem wütenden Wildschwein entgegenzustellen, und zweitens misstraute er Rupert.
Der Junge betrachtete Armand argwöhnisch, seit er immer wieder neben Gisela herritt, mit ihr scherzte und sich im Gab übte. Er sah offensichtlich seine Pfründe bedroht – irgendwann würden sich Armand und Rupert als Feinde gegenüberstehen. Der junge Ritter sah diesem Tag gelassen entgegen. Aber dem Bauernjungen im Rahmen einer Treibjagd den Rücken zuzudrehen, erschien ihm denn doch als unnötiges Wagnis.
Zu dem allgegenwärtigen Hunger kamen die Kälte und die Nässe auf dem Weg zwischen Speyer und Straßburg – und auch die jämmerlichen sanitären Bedingungen im Lager.Konstanze hatte von Schwester Maria gelernt, dass die arabische Medizin auf Sauberkeit setzte, um Krankheiten zu verhindern, und Armand hatte man auch in der Kunst der Kriegsführung unterrichtet. Dazu gehörte eine überlegte Anordnung des Heerlagers.
»Als Erstes lässt man die Krieger Latrinen ausheben«, bemerkte der junge Ritter auf Konstanzes Klagen über die stetige Zunahme an Durchfallerkrankungen. Besonders kleinere Kinder rafften sie schnell dahin, manchmal starben allein unter Konstanzes Händen zwanzig von ihnen am Tag. Gemeinsam mit anderen Badern und Kräuterfrauen, die Kranke betreuten, bat sie Nikolaus, ein paar Tage zu rasten, um die Patienten pflegen und zwecks Verbesserung der Versorgungslage Jäger in den Wald schicken zu können. Der kleine Heerführer lehnte das jedoch kategorisch ab.
»Wie können wir rasten, während Jesus im Himmel um das heilige Jerusalem weint?«, fragte er und schien dabei selbst Tränen in den Augen zu haben. »Wie können wir uns an Wildbret laben, wenn die Pilger in der Wüste darben, weil sie keinen Einlass finden zu den heiligen Stätten?«
Die Folge war, dass man sehr bald keine Kinder unter sieben oder acht Jahren mehr sah und hörte. Das helle Lachen der Jüngsten, das den Zug stets begleitet hatte, verstummte. Dafür hörte man Husten und Weinen.
»Wenn wir sie wenigstens begraben könnten!«, seufzte Dimma. Sie hatte eben ein kleines Mädchen verloren, das sie tagelang gepflegt und dabei lieb gewonnen hatte. »Aber sie einfach am Wegrand liegen zu lassen … das ist … das ist nicht christlich.«
Es trug auch nicht dazu bei, Nikolaus und seine Kreuzfahrer bei den Anwohnern beliebter zu machen. Und die Kinder selbst demoralisierte es. Gisela weinte und wandte den Kopf ab, wenn sie an einem toten Kind am Rand der Straße vorbeireiten musste.
Armand, Rupert und ein paar Jungen hoben schließlichwenigstens ein Grab für Dimmas kleinen Schützling aus – schwere Arbeit bei dem regengeschwängerten Boden, zumal kein angemessenes Werkzeug zur Verfügung stand. Die Wege waren wie Schlammgruben, die Pferde sanken bis über die Sprunggelenke ein, und die Schuhe der Wanderer waren durchnässt.
Auch Nikolaus’ Wagen kam nicht mehr voran, aber sein Tross spannte das Eselchen aus und ließ den Jungen reiten. Natürlich geschützt von einem warmen Mantel und einem breitkrempigen Pilgerhut.
Nikolaus war folglich nicht so erschöpft und durchgefroren wie seine Anhänger, deren Begeisterung ungebrochen war – trotz Hunger und Seuchen. Die Menschen horchten mit gläubigen Gesichtern auf seine Predigten, die er jeweils auf ihre Lage abstimmte, und sie waren glücklich, wenn er für sie sang. Manche vergaßen darüber sogar das Fischen und das Sammeln von Kräutern und Beeren. Sie waren erschöpft nach dem Tagesmarsch und ließen sich lieber von seiner süßen Stimme einlullen, als auf Nahrungssuche zu gehen.
»Seht, ich hungere ja wie ihr!«, erklärte Nikolaus, wenn er tröstend durchs Lager ritt. »Ich weine mit euch um jedes Kind, das wir verlieren. Aber mehr als um die Toten trauere ich um die Abtrünnigen, diejenigen, die jetzt umkehren, wo die Reise hart und entbehrungsreich wird. Haben wir nicht gewusst, dass es beschwerlich
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