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Der einaeugige Henker

Der einaeugige Henker

Titel: Der einaeugige Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark (Helmut Rellergert)
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nicht durch ein Fenster, sondern durch die Tür.
    Für einen Moment sah Reni Long sein Gesicht. Es war zu einer Fratze geworden. Mit Augen, die hervortraten, und einer Haut, die unter den Augen tränennass geworden war.
    Er wollte weg!
    Und Reni wusste nicht, ob sie es ihm gönnte oder nicht. Sie lag zwar ruhig auf dem Bett, aber sie war völlig außer sich. In ihrem Innern tobte ein Vulkan.
    Der Kerl erreichte die Tür. Er musste sie noch aufreißen, was er auch tat. Mit viel Schwung zog er sie nach innen, dann war das helle Viereck vorhanden, der Typ hatte freie Bahn, um nach draußen zu rennen, doch da zischte etwas mit einem leisen Rauschen über das Bett hinweg.
    Es war das geschleuderte Schwert, und das zielte auf den Rücken des Flüchtenden.
    Treffer!
    Es war schlimm, mit anzusehen, wie sich die Klinge in den Körper bohrte. Sie war so wuchtig geschleudert worden, dass der Getroffene das Gleichgewicht verlor. Wie ein Schwerverletzter drehte er sich torkelnd im Kreis, brach zusammen und blieb als Toter bäuchlings auf den kalten Bodendielen liegen.
    Sein Mörder hatte es nicht eilig. Gelassen zog der Henker seine Waffe aus dem Körper seines Opfers und drehte sich langsam um. Das Schwert hielt er so, dass die Spitze nach unten zeigte und das Blut abtropfen konnte.
    Dann trat er gemächlich den Rückzug an.
    Und Reni Long lag noch immer auf dem Bett. Sie zitterte wie Espenlaub. Sie war zudem schrecklich bleich geworden, und sie erbebte nicht nur, weil sie nackt war.
    Was sie gesehen hatte, war dazu angetan, Menschen um den Verstand zu bringen. Sie hätte am liebsten geschrien und gar nicht mehr aufgehört, aber das tat sie nicht. Sie blieb liegen und wartete auf das, was das Schicksal noch für sie bereit hielt.
    Er wandte sich ihr zu. Ja, das war ihr Schicksal, da konnte man reden, was man wollte.
    Sie schloss die Augen.
    Sie war die letzte Zeugin, also musste auch sie aus dem Weg geräumt werden.
    Durch das Kissen lag ihr Kopf etwas höher, und so konnte sie auch den Henker sehen, der sich durch die offene Tür schob und noch einen Schritt ging, bevor er anhielt.
    Er schaute sie an.
    Reni wollte seinen Blick nicht erwidern, um ihrem Mörder nicht in die Augen sehen zu müssen, aber sie konnte nicht anders. Sie musste ihn einfach anschauen. Er ging die letzten Schritte, um sie zu erreichen, und sie rechnete damit, dass er jetzt sein Schwert anhob, um ihr die Waffe in die Brust zu rammen.
    Das geschah nicht.
    Er ging weiter und blieb dann neben dem Bett stehen. Erst jetzt sah sie, wie groß er war. Sie roch das Blut, und sie schaute von unten her in sein starres Gesicht. Jetzt sah sie auch den dünnen Bartstreifen, der auf der Oberlippe wuchs und sich an den Rändern bis zum Kinn ausbreitete.
    Er sprach sie an. Die Stimme klang irgendwie künstlich.
    »Du hast alles gesehen?«
    »Ja, das habe ich.«
    Er nickte, aber er hob sein Schwert nicht an, um die Zeugin zu töten.
    »Sie haben es nicht anders verdient. Sie sind gekommen, um zu töten, und das hasse ich. Denn das Töten ist immer meine Sache gewesen. Deshalb musst du keine Angst davor haben, dass ich dich töten will. Nein, du sollst leben, aber mit einem netten und liebevollen Mann, den es bestimmt auch für dich auf dieser Welt gibt.«
    »Daran glaube ich auch.«
    »Dann war mein Eingreifen nicht vergebens.« Der letzte Satz hatte ihr die Angst genommen, und sie traute sich, etwas forscher zu sein.
    »Nein, du bist gut gewesen.«
    »Wie schön.«
    »Aber jetzt möchte ich zurück in meine Umgebung, wo auch mein Freund wohnt.«
    »Ja, das kannst du.«
    »Und du?«, fragte sie.
    Die Antwort erfolgte prompt. »Ich habe noch zu tun und muss meinen Weg gehen.«
    Reni Long traute sich fast nicht, die Frage zu stellen. »Auf dem erneut Tote zurückbleiben?«
    Er nickte ihr bedächtig zu. »Ja, das lässt sich nicht vermeiden.«
    »Und warum tust du das?«
    »Sei froh, dass ich es getan habe. So bist du noch am Leben. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn ich nicht gekommen wäre. Daran solltest du immer denken.«
    »Ich weiß, und ich werde es nicht vergessen.«
    Es nickte und erklärte nichts mehr, sondern drehte sich um und ging davon, ohne noch ein einziges Wort zu sagen.
    Reni Long schaute ihm nach. Seltsam, ihre Nacktheit hatte sie in seiner Gegenwart gar nicht gestört. Jetzt aber, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah alles anders aus. Da war sie sich ihrer Nacktheit schon bewusst, und sie fing auch an zu frieren.
    Sie richtete sich auf.

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