Der einaeugige Henker
…«
»Wo?«
»Im Spiegel. Schauen Sie!«
Der Pfarrer hatte gute Augen und sich nicht vertan. Ich folgte seinem Ratschlag und konzentrierte mich auf die Mitte des Spiegels. Dort schob sich das, was uns bisher die Sicht genommen hatte, mehr zur Seite hin, und so sahen wir etwas, womit wir nicht gerechnet hatten.
Henry Hope erkannte ihn zuerst.
»Das ist er«, flüsterte er. »Ja, so hat der Mann mit dem Schwert ausgesehen …«
Der Henker!, dachte ich und beugte mich tiefer über den Spiegel, um ja alles sehen zu können. Der Henker war keine Einbildung, er war vorhanden. Er hielt sich im Hintergrund auf und erinnerte beim ersten Hinschauen an eine Zeichnung.
Das war sie dann doch nicht.
Es gab ihn als Wesen, das lebte, und je intensiver ich schaute, umso mehr bekam ich zu sehen.
Es gab auch eine Umgebung. Das war nicht das Freie, er befand sich in einem Raum. Dort blieb er auch, aber er war nicht allein.
Menschen?
Ja. Drei Männer. Auch eine Frau, die nackt auf einem Bett lag und sich nicht bewegte. Sie war nicht tot, ich hatte an ihrem Körper keine Wunden entdeckt.
Einen Mann sah ich mit nacktem Oberkörper, und er stand dem Henker am nächsten.
Das konnte nicht gut gehen. Das roch nach Kampf, nach Blut, was vergossen werden würde.
Und ich sollte mich nicht geirrt haben, denn was wir dann sahen, war fürchterlich …
***
Der einäugige Kämpfer bewegte sich. Er tat es nicht mal sehr schnell. Er nahm sein Schwert fast gemächlich hoch, dann fixierte er den ihm am nächsten Stehenden und schlug zu.
Ein leises Pfeifen war zu hören, als die Klinge durch die Luft schnitt. Keiner der Entführer reagierte. Jeder blieb an seinem Platz stehen, auch der Mann ohne Hemd.
Er wurde getroffen.
Es war ein Hieb, der seinen Kopf genau in der Mitte traf und das mit einer tödlichen und zerstörerischen Wucht. Bis zur Hälfte grub sich die Klinge in den Schädel hinein. Es war ein Knirschen zu hören. Blut und Gehirnmasse spritzten hervor, und seltsamerweise blieb der Mann noch auf der Stelle stehen.
Der Henker sorgte mit einem Tritt dafür, dass er umkippte.
Der Aufprall hatte die Stille zerstört. Ein weiterer Laut war zu hören, es war der kieksende Schrei eines Mannes im langen Mantel. Der Kerl war bleich geworden und wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Auf den Toten oder auf das blutige Schwert, das wieder angehoben wurde, um sich ein neues Ziel zu suchen.
Vergewaltiger Nummer zwei wollte nicht aufgeben. Er stieß zuerst einen Fluch aus, dann griff er unter seinen Mantel und holte etwas hervor. Es war ein Messer. Eine dieser schweren Klingen, leicht gebogen und auch sehr hart.
Er schleuderte die Waffe.
Der Henker hatte sein Schwert wieder angehoben. Beinahe wäre es von der Waffe getroffen worden, aber die Klinge huschte dicht unter dem Griff vorbei und wuchtete sich mit einer letzten Halbdrehung in die breite Brust des Henkers.
Der Einäugige nahm es hin. Die Klinge wühlte sich in seinen Körper hinein, der anfing zu zittern, aber nicht fiel. Er nahm es hin, dass die Klinge in einer Brust steckte, hob dann seinen linken Arm, um mit der Hand die Waffe aus der Brust zu ziehen.
Es floss kein Blut.
Der Typ, der das Messer geschleudert hatte, musste erst mal mit einem derartigen Phänomen klar kommen. Er kam es nicht, er fing an zu lachen und sein Kumpel lachte mit.
Aber der erste Lacher schwieg dann, denn der Henker hatte das Messer aus seiner Brust gezogen und es auf seinen Besitzer geschleudert. Wäre der stehen geblieben, dann wäre die Klinge in seine Brust gehackt. Er war jedoch in den Knie eingeknickt, und da hatte das Messer sein Gesicht getroffen und es brutal zerstört.
Der Mann stieß noch einen gurgelnden Schrei aus, dann war es vorbei. Er sackte in die Knie, und als er auf den Boden fiel, war er bereits tot.
Jetzt gab es nur noch einen und die nackte Frau auf dem Bett. Sie lag dort und bewegte sich nicht. Sie war zu Eis erstarrt und auf ihrem Körper hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Sprechen konnte sie nicht. Sie war sogar froh, dass sie es noch schaffte, weiter zu atmen.
Der Henker kam auf sie zu. Sein eines Auge schimmerte in einem geheimnisvollen Grün. Reni Long rechnete damit, dass er auch ihr etwas antun würde, denn so einer wie er hinterließ keine Zeugen.
Er wollte sich offenbar erst den dritten Typen holen. Der aber hatte Zeit gehabt, sich etwas einfallen zu lassen, obwohl er durch die blutigen Taten so entsetzt gewesen war.
Er wollte weg von hier. Raus. Fliehen. Aber
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