Der einaeugige Henker
Alles geschah sehr langsam, denn sie war in Gedanken versunken. Sie konnte nicht vergessen, was hier passiert war. Das war nicht zu erklären, und sie fragte sich jetzt, ob es überhaupt ein menschliches Wesen gewesen war, das sie da gesehen hatte.
Der Mann mit dem Schwert hatte zwar ausgesehen wie ein Mensch, war aber sehr ungewöhnlich gewesen, und er hatte keine Gnade gekannt. Dass ihr nichts passiert war, verdankte sie dieser menschlichen Mordmaschine. Erst jetzt kam ihr richtig zu Bewusstsein, in welcher Umgebung sie sich befand, denn als sie sich umschaute, sah sie die drei Toten. Brutale Kerle, die mit ihr ihren Spaß haben wollten.
Es fiel ihr schwer, dorthin zu schauen, denn sie boten einen schrecklichen Anblick. Aber es war ihr auch nicht immer möglich, zur Seite zu schauen, und so sah sie manchmal hin. Sie sah das Blut, die entstellten Körper, und sie hörte sogar das Summen zweier Fliegen und fragte sich, woher die Insekten gekommen waren. Sie mussten das Blut gerochen haben.
Ihr huschte so viel durch den Kopf. Hinter ihrer Stirn hämmerte es. Die Luft war nicht gut. Ihr wurde übel, wenn sie tief einatmete, deshalb tat sie es nur durch die Nase.
Und sie zog sich an. Es geschah wie in Trance. Sie bewegte sich nur langsam, wie von einem Automaten gelenkt. In ihrem Kopf hatte sich ein taubes Gefühl ausgebreitet. Sie kam sich vor wie eine Marionette, deren Fäden irgendjemand in den Händen hielt, den sie nicht kannte. Er hatte ihr Leben auf den Kopf gestellt. Was sie hier erlebt hatte, das war nicht nachvollziehbar. Das war das Grauen pur, und sie begann sich darüber zu wundern, dass sie noch einigermaßen klar denken konnte.
Zuletzt streifte sie die Schuhe über. Dann griff sie nach ihrem Mantel und verkroch sich fast in ihm, als sie ihn überstreifte. Jetzt stand einer Flucht nichts mehr im Weg.
Reni Long erreichte die Tür, riss sie auf und lief die ersten Schritte in die Freiheit hinein. Es gab niemanden, der sie jetzt noch aufhielt.
Weit kam sie nicht.
Plötzlich war die Erinnerung wieder da und überschwemmte sie wie eine Woge.
Sie wollte noch ein paar Schritte laufen, was nicht mehr möglich war. Die Beine gaben unter ihr nach, dann drehte sich die Welt vor ihren Augen und sie konnte von Glück sagen, dass etwas Großes, Dunkles vor ihr auftauchte, das ein Hindernis bildete und sie aufhielt.
Es war der Jeep, mit dem die Vergewaltiger gekommen waren. Sie stieg nicht hinein, sie lehnte sich nur dagegen, weil sie nicht mehr konnte. Es war so schlimm. Der Schock traf sie jetzt voll, der seelische Schmerz wurde unerträglich und machte sie fertig. Sie weinte, sie schrie, sie zitterte, und es gab niemanden, der sie in dieser Einsamkeit hörte …
***
Weder der Pfarrer noch ich brachten einen Ton hervor. Was uns der Spiegel zeigte, das war eine brutale Realität, die wir nicht stoppen konnten. Tatenlos mussten wir mit ansehen, wie ein dreifacher Mord geschah.
Gnadenlos räumte der Killer auf. Er war ein abgebrühter Henker, wie es ihn schlimmer nicht geben konnte. Auch die Männer waren alles andere als Chorknaben und hätten für lange Zeit hinter Gitter gehört, doch die Grausamkeit und auch die Präzision, mit der dieser Henker vorging, war erschreckend.
Ich wäre am liebsten in die Szene hineingeglitten, aber das war nicht möglich. Die andere Seite sperrte sich, der Spiegel zeigte nur etwas, er war kein Tor.
Zweimal hatte der Henker sein Schwert eingesetzt und einmal ein Messer und drei Tote hinterlassen.
Dann ging er.
Er ließ die nackte Zeugin zurück. Sie konnte nichts sagen und nichts tun. Sie starrte dem Henker nach, wie er auf die Tür zuging, um das Haus zu verlassen.
Dann war er weg und das Bild auch.
Wir sahen nichts mehr. Nur die normale Spiegelfläche lag vor uns.
Ich hob den Kopf an und schaute dem Pfarrer ins Gesicht. Der gab keinen Kommentar ab. Er schluckte ein paar Mal, dann erst konnte er sprechen.
»Das ist ein Spiegel – oder?«
Ich nickte. »Ja, das ist er.«
»Und darin sehen wir uns.«
»Sicher.«
»Aber ich habe noch etwas anderes gesehen. Einen dreifachen Mord, und den habe ich nicht geträumt.«
»Leider, Mister Hope.«
Er sah aus, als wollte er aufschreien. Ich hatte den Eindruck, dass ihm meine Antwort nicht gepasst hatte. Er hätte sicher lieber gehabt, wenn ich ihm widersprochen hätte, aber das war nicht möglich. Wir hatten beide das Gleiche gesehen.
Der Pfarrer wandte sich ab. Er ging die paar Schritte bis zu einer Säule und presste
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