Der Einbruch des Meeres
»mit einer bis zur zehnten Dezimale reichenden Genauigkeit ab«. Er brachte alles in Zahlen, zergliederte alles in Gleichungen, und wenn der Sinn der Phantasie je einem menschlichen Wesen versagt war, so traf das zu auf diesen Ziffernmenschen, diesen Algebramenschen, dem es übertragen war, die ungeheuern Arbeiten zur Schaffung eines Saharameeres zum guten Ende zu führen.
Von dem Augenblicke an, wo von Schaller nach nüchternem und eingehendstem Studium des Projektes Roudaires dieses für ausführbar erklärt hatte, war das auch unbedingt der Fall, und es konnte gar nicht zweifelhaft sein, daß unter seiner Leitung kein Rechenfehler, weder bezüglich der materiellen noch der finanziellen Seite, zutage trat. »Da von Schaller die Sache in die Hand genommen hat, erklärten alle, die den Ingenieur kannten, muß sie gut sein!« und alles ließ auch vermuten, daß sie sich nicht täuschten.
Von Schaller hatte der Grenzlinie des zukünftigen Meeres folgen und sich überzeugen wollen, daß nichts die Strömung des Wassers durch den ersten Kanal bis zum Rharsa und durch den zweiten bis zum Melrir behinderte, und ebenso wollte er die höhern Ufer und die flachen Gestade besichtigen, zwischen denen sich die flüssige Masse von achtundzwanzig Milliarden Tonnen ansammeln sollte. Ein Kammerdiener oder vielmehr ein »Offiziersbursche«, denn er hätte diese Bezeichnung, noch besser vielleicht die einer »Ordonnanz«, gerechtfertigt, wenn er nicht Zivilist gewesen wäre, begleitete den Ingenieur. Pünktlich, methodisch, sozusagen »militärisch gedrillt«, obgleich er niemals gedient hatte, war François der Mann, der seinem Herrn paßte. Von guter Gesundheit, ertrug er ohne ein Wort der Klage die größten Anstrengungen, und daran hatte es ihm in den zehn Jahren seiner Dienstleistung bei dem Ingenieur wahrlich nicht gefehlt. Er sprach nur wenig, wenn er aber mit den Worten geizte, so geschah es zum Nutzen, seiner Gedanken. Dabei ein Mann mit ruhiger Überlegung, schätzte ihn von Schaller wie ein vollkommenes Präzisionsinstrument. Er war nüchtern, verschwiegen und reinlich – keine vierundzwanzig Stunden hätte er dahingehen lassen, ohne sich rasiert zu haben. Auch trug er weder Schnurrnoch Backenbart, und niemals, selbst unter den schwierigsten Umständen, hatte er die tägliche Säuberung des Gesichtes versäumt.
Selbstverständlich wurden für die von dem Oberingenieur der französischen Gesellschaft des Saharameeres organisierte Expedition die nötigen Schutzmaßregeln getroffen. Von Schaller wäre es die reinste Unklugheit gewesen, sich nur zu Zweien – sein Diener und er – durch das Djerid hinauszuwagen. In dem unaufhörlich van Nomaden durchstreiften Gebiete waren die Straßen nicht einmal für ganze Karawanen sicher. Wie hätte man die dreisten Überfälle Hadjars und seiner Rotte vergessen können, und unlängst war der blutgierige Häuptling nach seiner Gefangennahme und Einkerkerung ja entflohen, bevor eine gerechte Verurteilung, die ihn erwartete, das Land von dem frechen Räuber befreit hatte. Daß er seine Raubzüge wieder aufnehmen würde, war ja vorauszusehen.
Obendrein waren ihm die Verhältnisse gegenwärtig besonders günstig. Es fehlte gar viel daran, daß die Araber des Südens von Algerien und Tunesien, und noch mehr die seßhaften und nomadisierenden Bewohner des Djerid, das Unternehmen des Kapitän Roudaire ohne Widerspruch hingenommen hätten, damit war ja die Zerstörung mehrerer Oasen des Rharsa und des Melrir verknüpft.
Die Landeigentümer waren zwar entschädigt worden, zugegeben, doch immerhin in einer sie nicht befriedigenden Weise. Sicherlich waren dabei gewisse Interessen verletzt worden, und die Eigentümer empfanden einen tiefen Haß bei dem Gedanken, daß ihre fruchtbaren Touals bald unter dem aus der Kleinen Syrte hereinflutenden Wasser verschwinden sollten. Und jetzt mußte man zu den Volksstämmen, die von der Neuordnung der Dinge in ihren Gewohnheiten gestört wurden, vor allem die Targui rechnen, die jeden Augenblick bereit waren, ihr abenteuerliches Leben als Karawanenplünderer wieder aufzunehmen. Was wurde denn aus ihnen, wenn zwischen den Schotts und den Sebkhas keine Straßen mehr vorhanden waren, wenn der Handel nicht mehr durch Kafilas betrieben wurde, die seit undenklichen Zeiten durch die Wüste zwischen Biskra und Gabes zogen? Dann trat ja an deren Stelle eine Flottille von Goeletten, Chebels, Tartanen, Briggs und Dreimastern, von Segel-und Dampfschiffen, und dazu
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