Der Einbruch des Meeres
Ihnen, weil Sie den Burschen erst vor einigen Wochen festgenommen hatten.
– Jawohl, Brigadier, und mich wundert’s selbst nicht wenig, daß er sich, da er wußte, wer ich war, und er mich wiedererkannt hatte, nicht gleich zur schlimmsten Gewalttätigkeit hatte hinreißen lassen. Doch… das wird sich ja noch zeigen. Jedenfalls sind wir vorläufig in seiner Hand und wissen über das Schicksal Vilettes und Pointars ebensowenig wie über das unsre. Ich, lieber Schaller, bin aber, wie die suchen liegen, nicht der Mann, als Preis für die Freiheit Hadjars zu dienen, auch nicht eine Trophäe seines Räuberlebens zu bilden.
Koste es was es will: wir müssen von hier entfliehen, und wenn mir der dazu geeignete Augenblick gekommen scheint, werde ich auch das Unmögliche versuchen, von hier wegzukommen. Doch was mich betrifft, will ich frei sein, nicht ein ausgewechselter Gefangener, wenn ich vor meine Kameraden trete, und mein Leben will ich hüten, um – den Revolver oder den Säbel in der Faust – mich dem Räuber gegenüberzustellen, der sich unser jetzt bemächtigt hat.«
Während der Kapitän Hardigan und der Herr von Schaller über Fluchtpläne nachsannen, rechneten Pistache und François, obwohl entschlossen, ihren Vorgesetzten zu folgen, doch mehr auf Hilfe von draußen, vielleicht sogar auf die Findigkeit ihres Freundes Coupe-à-Coeur.
So lagen vorläufig also die Dinge, deren Erkenntnis sich niemand enthalten konnte.
Wie bekannt, war Coupe-à-Coeur den Gefangenen bis Zenfig nachgelaufen, ohne daß die Tuaregs ihn wegzujagen versucht hätten. Als der Kapitän nebst seinen Begleitern aber in den Bordj eingesperrt wurden, hatte man das treue Tier nicht mit zu ihnen hineingelassen. Ob das mit Absicht geschehen war, ließ sich schwer beurteilen. Jedenfalls bedauerten alle, den Hund nicht bei sich zu haben. Und doch, was hätte er ihnen trotz seiner Intelligenz und seiner Ergebenheit hier nützen können?
»Ja, das kann man nicht wissen, meinte der Brigadier Pistache bei einem Gespräch mit François. Den Hunden kommen durch ihren Instinkt Eingebungen, die den Menschen abgehen. Erwähnte jemand Coupe-à-Coeur gegenüber seinen Herrn Nicol und seinen Freund Va d’l’avant, so würde er sich vielleicht selbst aufmachen, diese zu suchen. Da wir freilich aus diesem verwünschten Hofe nicht hinauskommen können, könnte das Coupe-à-Coeur wohl ebensowenig. Doch gleichviel, ich sähe ihn gern an unsrer Seite. Wenn die Schufte ihm nur kein Leid angetan haben!«
»Herr« François begnügte sich statt einer Antwort mit den Achseln zu zucken und rieb sich nur Kinn und Wangen, die von den frischen Bartstoppeln schon recht rauh aussahen.
Nachdem die Gefangenen vergeblich gewartet hatten, daß man ihnen etwas Nahrung bringen würde, konnten sie nur daran denken, der ihnen recht notwendigen Ruhe zu pflegen. So streckten sie sich denn auf den Alfahaufen aus und schliefen, der eine eher, der andre später, ein und erwachten nach einer ziemlich schlechten Nacht auch erst beim nächsten Tagesgrauen.
»Sollen wir, bemerkte François sehr zutreffend, aus dem gestrigen Ausbleiben des Abendessens nun etwa schließen, daß wir kein Frühstück erhalten werden?
– Das wäre schändlich.. geradezu abscheulich!« antwortete der Brigadier Pistache, der laut gähnte, um die Kinnladen beweglich zu machen, doch nicht infolge des Schlafes, sondern diesmal rein aus Hunger.
Die Gefangenen sollten über die interessante Frage bald im Klaren sein. Nach Verlauf einer Stunde kamen Ahmet und ein Dutzend Tuaregs in den Hof und brachten etwas von demselben Kuchen, wie am Tage vorher, ferner so viel kaltes Fleisch und Datteln, daß es für sechs Personen und einen Tag genügen mußte. Daneben stellten sie einige Krüge mit frischem Wasser hin, das aus dem die Oase Zenfig durchströmenden Oued geschöpft war.
Noch einmal versuchte Kapitän Hardigan sich über das Schicksal zu erkundigen, das ihnen von dem Tuareghäuptling beschieden wäre, und er stellte deshalb diese Frage an Ahmet.
Dieser ließ sich jedoch, ebensowenig wie Sohar am vorigen Abend, zu einer Antwort herbei. Er folgte damit jedenfalls einem gemessenen Befehle und verließ den Hof wieder, ohne ein Wort gesprochen zu haben. So verstrichen drei Tage ohne die geringste Änderung der Sachlage. Aus dem Bordj zu entweichen, erwies sich als unmöglich, wenigstens wenn das nur durch Übersteigen der Mauern geschehen konnte, woran doch wegen Mangels einer Leiter gar nicht zu denken war.
Weitere Kostenlose Bücher