Der einsame Baum - Covenant 05
hoch. »Wir müssen hinein«, sagte die Erste so barsch, als verweigere sie sich Tränen, zu den Gefährten.
Brinn und Cail nickten. Sie schauten Seeträumer an; der Riese beugte sich über Ceer und hob den verletzten Haruchai vorsichtig auf die Arme. Alle machten Anstalten, sich in die Richtung zum nächsten Tor zu entfernen. Linden starrte sie an. »Was ist mit Hergrom?« meinte sie mit schwerfälliger Stimme. Brinn sah sie an, als verstehe er ihre Frage nicht. »Wir können ihn nicht einfach hier liegenlassen.« Hergrom hatte sein Leben für die Gefährten hingegeben. Sein Leichnam lehnte zusammengesunken am Sandwall wie ein der Großen Wüste dargebrachtes Opfer. Blut bildete um ihn eine dunkle Lache.
Brinns ausdruckslose Augen zeigten keine Regung. »Er hat versagt.«
Der Nachdruck seines bedingungslosen Blicks drang Linden durch Mark und Bein. Sein Urteil war zu streng; es war unmenschlich. Weil sie nicht wußte, wie anders sie ihm widersprechen könnte, stapfte sie durch den Sand und holte aus, um mit aller Kraft ihres Arms mitten in Brinns gleichmütige Miene zu schlagen. Er fing den Hieb geschickt ab, hielt Lindens Handgelenk für einen Moment mit der gleichen steinernen Kraft fest, mit der Cail seine Finger in ihr Fleisch gegraben hatte. Dann stieß er ihre Hand abwärts, gab sie frei. Er nahm Covenant am Arm und ließ Linden stehen.
Plötzlich bückte sich Blankehans und hob das Schmuckstück auf, das Rant Absolain über die Mauer geworfen hatte. Hergroms Fuß hatte die schwarze Sonne des Medaillons entzweigebrochen. Blankehans' Augen brachten Kummer und Zorn zum Ausdruck, als er das Emblem der Ersten reichte. Sie nahm es und zerdrückte es in ihrer Faust. Die Kette riß an zwei Stellen. Dann schleuderte die Riesin sämtliche Bruchstücke in die Große Wüste hinaus und schritt an der Biegung des Sandwalls entlang ostwärts. Seeträumer und Blankehans gingen ihr nach. Brinn und Covenant schlossen sich an.
Einen Moment später setzte sich auch Linden in Bewegung. Ihr Handgelenk und der Oberarm taten weh. Sie begann insgeheim neue Versprechungen abzulegen. Cail hinter sich – danach kamen Hohl und Findail –, holte sie die anderen Gefährten ein, während Hergrom ohne die Würde oder den Anstand einer Beerdigung zurückblieb, nur weil er sich als sterblich erwiesen hatte.
Die Außenseite der Mauer war lang; und die Sonne brannte herab, als verwende sie die bewegungslose Flut der Dünen, um die Gefährten zu bedrängen. Der Sand machte jeden Schritt zu einer Strapaze. Aber von Ceers Schmerz war Linden zu neuer Entschlossenheit übergegangen. Hergrom war tot. Ceer brauchte sie. Sie würde ein wahres Wunder von Notoperation vollbringen müssen, um dafür zu sorgen, daß er sein Bein einmal wieder benutzen konnte. Einige Schritte hinter ihrem Rücken tappte Covenant einher und murmelte in unerfindlich bemessenen Abständen seinen nachgerade rituell gewordenen Spruch, als sei Lepra das einzige, an das er sich noch zu entsinnen vermochte. Linden hatte das Gefühl, nun genug erduldet zu haben.
Schließlich endete die Biegung des Sandwalls. In geradem Verlauf stieß er an die Mauer, die Bhrathairain und den Hafen umgab. In der Mitte dieses Abschnitts befand sich das Tor, das die Gefährten suchten. Man gelangte dadurch in einen der Vorhöfe; darin glitzerte einer der Brunnen von Bhrathairealm im Sonnenschein. Im Vorhof blieben die Gefährten stehen. An der rechten Seite lag das Tor, das zur Stadt führte; links war der Eingang zur Sandbastei. Allem Anschein nach war der Rückweg zur Sternfahrers Schatz unbewacht. Aber am inneren Tor warteten Rire Grist und sein Unterführer. Hier konnte man wieder Vögel sehen; hier und überall rings um Bhrathairain, nur im Umkreis der Sandbastei nicht. Vielleicht hatte die Festung ihnen nie Nahrung geboten. Oder sie scheuten die Künste des Wesirs.
Unvermutet ergriff der Ernannte das Wort. Seine gelben Augen waren verschleiert, verhehlten seine Bestrebungen. »Wollt ihr euch nicht zurück auf die Dromond begeben? An dieser Stätte drohen euch nichts als Gefahren.«
Linden und die Riesen starrten ihn an. Seine Worte rührten anscheinend an etwas in der Ersten; sie drehte sich nach Linden um, als wiederhole sie stumm Findails Frage. »Glaubst du vielleicht, man würde uns einfach abhauen lassen?« hielt Linden ihm barsch entgegen. Sie traute dem Elohim sowenig wie Kasreyn. »Hast du nicht die Wächter in den Mauern bemerkt, als wir eingetroffen sind? Grist wartet
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