Der einsame Baum - Covenant 05
wahrscheinlich nur darauf, den Befehl geben zu können, uns einzulochen.« Die Erste kniff ein Auge zu; offenbar teilte sie Lindens Meinung. Dennoch sah man ihr deutlich den Wunsch an, etwas zu tun – irgend etwas –, das ihr Gefühl der Hilflosigkeit mildern mochte. Linden nahm sich noch energischer zusammen. »Ich muß eine komplizierte Behandlung von Ceers Bein vornehmen. Wenn ich nicht die Splitter aus dem Kniegelenk entferne, wird er's nie mehr bewegen können. Aber das kann noch ein Weilchen warten. Als erstes benötige ich heißes Wasser und Verbandszeug. Er blutet noch. Und in einer derartigen Hitze kommt es schnell zu Infektionen.« Ihre Beobachtungen waren sicher und exakt. An den Rändern von Ceers Bruchverletzung sah sie bereits Erstarrung eintreten. »Damit können wir nicht warten. Wenn ich nicht rasch eingreife, wird er das Bein ganz verlieren.« Die Haruchai musterten sie, als hindere grundlegender Argwohn sie daran, sich überzeugen zu lassen. Doch Linden hielt an ihren neuen Versprechungen fest, ignorierte die Zweifel. »Grist kann sich kaum weigern, uns zur Verfügung zu stellen, was wir haben müssen, wenn wir uns weiter wie nichts anderes als Gäste des Gaddhi verhalten.«
Für einen längeren Moment schwiegen die Gefährten. Linden hörte nichts als das Plätschern des kühlen Brunnens. »Der Elohim spricht die Wahrheit«, sagte endlich mit tonloser Stimme Brinn.
Daraufhin straffte sich die Erste. »Freilich«, entgegnete sie, daß es wie ein Knurren klang, »der Elohim spricht in der Tat die Wahrheit. Aber Hergrom hat für uns sein Leben in die Waagschale geworfen, wiewohl du's ein Versagen schimpfst. Ich bin bereit, aus Rücksicht auf Ceers Verwundung weiteres zu wagen.« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, wandte sie sich zum Caitiffin um. »Heda, Rire Grist!« rief sie schon im Umdrehen. »Unser Gefährte ist ernstlich verwundet. Wir brauchen Arzneien!«
»Unverzüglich«, antwortete der Caitiffin. Sein Tonfall konnte seine Erleichterung nicht überspielen. Er sprach hastig einige Worte zum Unterführer, und der Mann entfernte sich im Laufschritt zur Sandbastei. »Alles, dessen ihr bedürft«, sagte der Caitiffin anschließend zur Ersten, »wird in euren Gastgemächern bereitliegen.«
Blankehans und Seeträumer folgten der Ersten zum Tor; und Linden schloß sich an, so daß Brinn und Cail nichts anderes übrigblieb, als das gleiche zu tun. Zum Schluß kamen, wie stets, Hohl und Findail. Die beiden Torwächter traten beiseite. Entweder kannten sie die Gäste des Gaddhi inzwischen, oder sie hatten neue Befehle erhalten. Gemeinsam durchquerten die Gefährten den Sandwall, eilten durch den Sand, so schnell es möglich war, zum Eingang der Sandbastei. Linden rang um Fassung, um den Moment, in dem sie endgültig zusammenklappen mochte, so lange hinauszuzögern, wie es sich machen ließ, und versuchte, sich dem Tempo der Ersten anzupassen. Im hohen Vorsaal des Ersten Runds lauerte die alteingesessene Düsternis, entzog der Sicht für ein paar Augenblicke alles, was nicht im direkten Sonnenlicht lag. Bevor sich Lindens Augen umstellten, drangen wirre Eindrücke von Wächtern und anderen Personen auf sie ein – und darunter war eine Präsenz, die sie überraschte. Einen flüchtigen Moment lang nahm sie die Gegenwart der übrigen Leute zur Kenntnis. Sie waren Bedienstete, aber nicht die gutaussehenden, geschniegelten Lakaientypen, die am Vortag die Höflinge bedient hatten. Vielmehr handelte es sich bei ihnen um so etwas wie das Gesinde der Sandbastei, Männer und Frauen, die zu alt oder unansehnlich geworden waren, um das Auge des Gaddhi – oder des Wesirs – zu erfreuen. Auf sie erstreckten sich Wohlstand und Reichtum von Bhrathairealm offenkundig nicht. Gehüllt in zerlumpte Gewänder der Verarmung, rutschten sie auf Händen und Knien herum, säuberten den Saal, in dem man am frühen Morgen die Pferde abgerichtet hatte. Linden fragte sich, wie viele dieser Menschen wohl einmal Höflinge oder Meistgeliebte gewesen sein mochten. Dann jedoch klärte sich ihre Sinneswahrnehmung, und sie vergaß die Bediensteten, als ihr Herz, sobald sie Pechnase erkannte, freudig schneller schlug. Mehrere Hustin umringten ihn, bewachten ihn, wo er stand; aber ihre Haltung war nicht bedrohlich. Anscheinend hatte man sie angewiesen, ihn hier auf seine Gefährten warten zu lassen. Beim Anblick der Ersten und ihrer Begleitung widerspiegelte sich Erleichterung in seinen entstellten Gesichtszügen. Aber Linden ersah
Weitere Kostenlose Bücher