Der einsame Baum - Covenant 05
Doch im nächsten Moment beherrschte er sich wieder. »Aber gleichwohl«, säuselte er in wiedergewonnener Gelassenheit weiter. »Ich habe andere Mittel, um dich umzustimmen.« Während er sprach, bewegte er sich an Hohl vorbei, bis er an Covenants Füßen stand. Nur der Dämondim-Abkömmling war dazu fähig, ihn zu mißachten. Auf einmal hielt Kasreyn die Gefährten in einem Bann des Entsetzens. Er hatte daran sichtlich seinen Spaß. Langsam hob er den rechten Arm. Gleichzeitig erhob sich Covenant vom Fußboden, ruckte steif in eine aufrechte Haltung hoch, als wäre er von dem Band um seinen Hals in die Höhe gerissen worden. Kasreyn vollführte aus dem dürren Handgelenk mit seiner Rechten eine Drehbewegung. Covenant wandte sich um. Seine Augen sahen nichts. Auch unter der Kontrolle durch das goldene Halsband war und blieb er inwendig so leer und leblos wie seine Aura. Sein T-Shirt war mit Tod befleckt. Er drehte sich, bis Kasreyn ihn mit einer Geste verharren ließ.
Dieser Anblick brachte Linden beinahe um ihre Entschlossenheit. Covenant wie eine Marionette in der Hand des Wesirs! Was er auch an Schlimmem begangen haben mochte, eine derartige Entwürdigung hatte er nicht verdient. Und er hatte Wiedergutmachung geleistet! Kein Mensch hatte sich jemals mehr als er um Wiedergutmachung bemüht. In Coercri hatte er die toten Entwurzelten erlöst. Einmal hatte er Lord Foul schon bezwungen. Und er hatte auch für Linden alles Erdenkliche getan. Diese Behandlung jedoch hatte nichts mit Gerechtigkeit zu schaffen. Sie war reine Schlechtigkeit. Schlechtigkeit!
Tränen rannen heiß über Lindens Wangen, als wären sie das Saure ihrer menschlichen Schwäche.
Mit einer Gebärde seiner Hand schickte der Wesir Covenant zu Linden. Sie wand sich in den Eisenbändern, versuchte ihn abzuwehren. Doch er drängte sich durch den Widerstand ihrer Hände und beugte sich vor, um ihr einen kalten, von allem Leben entleerten Kuß auf die Lippen zu drücken. Sie stöhnte auf. Dann tat er einen Schritt rückwärts. Mit seiner Halbhand gab er ihr einen Hieb, der ihr ganzes Gesicht zum Brennen brachte.
Der Wesir holte ihn zurück. Er gehorchte mit der Leblosigkeit einer Puppe. Kasreyns Blick ruhte noch immer auf Linden. Bosheit bleckte ihm die alten Hauer. »Ersiehst du nunmehr«, meinte er mit einer Stimme, die ganz nach Gier klang, »daß meine Gewalt über ihn vollkommen ist?« Linden nickte. Sie konnte nicht anders. Nicht mehr lange, und Kasreyn würde sie so leicht lenken können, wie er jetzt Covenant schikanierte. »Dann schau!« Der Wesir machte komplizierte Gesten; und Covenant hob die Hände, krümmte die Finger einwärts wie Klauen. Er grub sie ins Fleisch rings um seine Augen. »Wenn du meinen Wunsch nicht erfüllst ...« – Kasreyns Stimme schwang sich lebhaft zu neuem Nachdruck empor –, »werde ich ihm gebieten, sich selbst zu blenden.«
Das war genug. Mehr konnte Linden nicht ertragen. Ausgedehntes Beben der Wut lief durch ihre sämtlichen Muskeln. Nun war sie bereit.
Aber bevor sie dazu kam, ihm ihre Einwilligung zu geben, entrang eine ungeheuerliche Anstrengung Blankehans' Brust ein Aufheulen. Mit unvorstellbarer Kraft riß er die Kette, die seinen linken Arm an der Mauer festhielt, aus ihrer Verankerung; und die Kette sauste durch die Luft wie ein Dreschflegel. Mit aller Wucht von Blankehans' Kraftaufwand traf sie Kasreyn gegen die Kehle. Der Anprall warf den Wesir rückwärts. Er stürzte wuchtig auf die Stufen, fiel auf den Fußboden. Dort blieb er bewegungslos liegen. Soviel Kraft und Eisen mußte in seinem Hals jeden Knochen gebrochen haben. Lindens Blick erfaßte ihn, sah sofort, er war tot. Diese Tatsache verblüffte sie regelrecht. Im ersten Moment merkte sie kaum, daß er nicht blutete. Die Erste stieß einen wilden Schrei aus. »Stein und See, Blankehans! Eine gar löbliche Tat!«
Doch einen Augenblick später zuckte Kasreyn. Er regte die Gliedmaßen. Langsam und schwerfällig raffte er sich auf Hände und Knie empor, kam dann wieder auf die Beine. Wenige Sekunden vorher hatte er keinen Pulsschlag gehabt; nun schlug sein Herz mit erneuerter Vitalität. Neue Kräfte durchströmten ihn. Er wandte sich von neuem den Gefährten zu; grinste wie eine Verheißung von Mord. Voller Grauen starrte Linden ihn an. Die Erste fluchte schwächlich vor sich hin. Das Kind auf Kasreyns Rücken lächelte süß in seinem Schlaf. Der Wesir schaute Blankehans an. Der Riese sank rücklings an die Wand, nahezu erschöpft. Aber sein
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