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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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sein; denn es war kaum damit zu rechnen, daß er sofort völlig zu Bewußtsein oder in den Vollbesitz seiner Macht gelangte, und solange er nicht beides zurückerrang, konnte er sich der Suggestivkraft des Wesirs nicht erwehren. Linden empfand nicht das geringste Mitgefühl für Kasreyn, duldete nichts, was auch nur entfernt Mitleid geähnelt hätte. Während sie in Covenants Leere fiel und fiel wie in den Tod, schrie sie lautlos ihre Weisungen, die durch die unbewohnten Klüfte seines Geistes hallten.
    Diesmal erhoben sich keine Bilder aus den Tiefen seiner Seele, um ihr Schrecken einzujagen. Linden hatte sich selbst so restlos aufgegeben, daß nichts geblieben war, das ihr hätte Furcht einflößen können. Statt dessen fühlte sie die Schichten ihres unabhängigen Ichs abgeschält werden. Strenge und Ernst, Disziplin, Ausbildung und Medizinstudium, alles war dahin, Linden war fünfzehn, von dieser Verwaisung bedrückt, in diesem Alter ganz und gar dazu außerstande, auf den Tod ihrer Mutter eine Antwort zu finden. Kummer, Schuld und ihre Mutter waren fort, und es schien in ihr nichts anderes zu existieren als das kalte unauslöschliche Grauen, die Anklage des Selbstmords ihres Vaters. Dann war auch kein Selbstmord mehr vorhanden, und sie stand unter einer klaren Sonne zwischen Feldern und Blumen, erfüllt mit all der Fähigkeit eines Kindes zu Glück, Freude und Liebe. Sie hätte immerzu weiter so fallen können.
    Der Sonnenschein breitete rings um sie seine Schwingen, der Wind zauste ihr das Haar wie eine Hand voller Zuneigung. Sie schrie vor Vergnügen. Und nicht ungehört. Querfeldein lief ein Junge auf sie zu. Er war älter als sie, wirkte sogar erheblich älter. Dennoch war er ein Junge, und der Covenant, der er einmal werden sollte, ließ sich bestenfalls in den Andeutungen seiner Gesichtszüge, der Glut in seinen Augen absehen. Er näherte sich ihr mit scheuem, nur halbem Lächeln. Seine Hände jedoch waren offen und heil, brauchbar. Gepackt von einer Aufwallung spontaner Begeisterung, rannte sie ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, lechzte nach der Umarmung, die sie verwandeln würde.
    Doch als sie ihn berührte, erfolgte eine Überbrückung des Abgrunds, und Covenants Leere flutete in sie herüber. Sofort konnte sie alles sehen, alles hören. Ihre sämtlichen Sinne funktionierten normal. Ihre Gefährten waren verstummt; sie starrten sie verzweifelt an. Kasreyn stand neben Covenant, den Augenring in Bereitschaft; seine Hände zitterten, als wäre er nicht länger imstande, seine Gebrechlichkeit zu verheimlichen. Doch hinter dem, was sie hörte und sah, heulte Linden wie in einem Vorgeschmack ihres späteren Lebens. Sie war ein Kind in einem Feld voller Blumen, und der ältere Junge, den sie bewunderte, hatte sie verlassen. Die Liebe war aus dem Sonnenschein verschwunden, hatte den Tag so trostlos zurückgelassen, als wäre alle Freude tot.
    Aber sie sah ihn, sah den Jungen in dem Mann Thomas Covenant wieder, als sich in seinen Gliedmaßen wieder Leben und Willen bemerkbar machten. Sie sah, wie er sich in die Gewalt bekam, den Kopf hob. All ihre Sinne funktionierten normal. Sie vermochte nichts als weiterhin zu heulen, als er sich Kasreyn zudrehte, sich der Suggestivkraft des Wesirs aussetzte. Noch war er zu weit von seinem eigenen Ich entfernt, um sich wehren zu können.
    Doch bevor es dem Wesir gelang, seinen Augenring zu verwenden, drangen Covenant die durch Linden eingepflanzten Weisungen ins Bewußtsein. Er schaute Kasreyn direkt ins Gesicht und führte sie aus. Deutlich und verständlich sprach er nur ein einziges Wort aus.
    »Nom.«

 
     
     
     
     
     

DRITTER TEIL
     
     
     
     
     
     

SCHEITERN

19
     

WUNDERTÄTER
     
     
    Der Name schien die Luft zum Gerinnen zu bringen, den Stein der Sandbastei selbst mit Entsetzen zu schlagen. Wie aus großer Entfernung und in Vereinsamung sah Covenant, wie Kasreyn von dem Wirbel zurückprallte. Das Okular entglitt der Hand des Wesirs. Betroffenheit und Wut zerfurchte sein greises Gesicht. Aber er konnte nicht rückgängig machen, daß Covenant das Wort gesprochen hatte. Für einen Moment befiel ihn panikartige Unentschlossenheit, lähmte seine Handlungsfähigkeit. Dann stieg in ihm alte Furcht empor, und er trat die Flucht an, um sein Leben zu retten.
    Im Korridor warf er die eiserne Tür hinter sich zu, schob die Riegel vor. Aber diese Geräusche von Metall blieben Covenant gleichgültig. Seine Sinne hatten die ganze Zeit hindurch normal

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