Der einsame Baum - Covenant 05
Stärke, als hätte die Sorge um Linden und die übrigen Gefährten ihn bisher vor dem ganzen Eindruck dessen bewahrt, was er getan hatte. »Hunderte«, stöhnte er; und sein Gesicht schien zu zerbröckeln wie die Wesirswacht. »Sie hatten keine Chance.« Seine Gesichtszüge schienen von Tränen zu zerfließen, warfen das Feuer im Hafen und die Spitzen in Fragmenten der Trauer oder des Schweißes zurück. »Findail behauptet, daß ich es bin, der die Erde vernichten wird.«
Ach, Covenant! Linden hätte ihn jetzt gern umarmt, aber ihr betäubter Arm baumelte ihr an der Schulter, als wäre er im Verwelken begriffen.
»Riesenfreund«, mischte sich die Erste ein, getrieben vom Ernst der Situation. »Wir müssen hinunter zu Sternfahrers Schatz.«
Covenants Haltung glich der eines Versehrten. Doch irgendwo war ihm noch genug Kraft geblieben, um die Mahnung der Ersten zur Kenntnis zu nehmen. Oder vielleicht war es nicht Kraft, sondern Schuldgefühlen zu verdanken, daß er sie verstand. Er strebte an Linden vorüber und auf den Turm zu, als fühle er sich dazu außerstande, sich einzugestehen, wie sehr er sie brauchte. Noch immer versuchte er, sich ihr zu verschließen. Seine Selbstversagung zu begreifen nicht in der Lage, blieb Linden nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ihre Hose war eine so harte Zwangsläufigkeit geworden wie nach seiner letzten Wunde Ceers Tod. Ihr rechter Arm ließ sich nicht bewegen. Immerhin hatte Covenant vollauf ein Recht, ihr mit Ablehnung zu begegnen. Früher oder später würden die Haruchai ihm von dem Zwischenfall mit Ceer erzählen. Dann war es ihr vollends unmöglich, ihn jemals zu berühren. Als Pechnase den Platz einnahm, den zuvor stets Cail an ihrer Seite ausgefüllt hatte, duldete sie es, daß er sie in den Turm führte.
Drinnen gesellte sich Blankehans wieder zu den Gefährten. Anhand von Rire Grist erhaltener Informationen geleitete er sie über eine Treppenflucht hinab auf ein breites Steinsims, das sich nicht höher über dem Wasser befand, als ein Riese groß war. Die Sternfahrers Schatz hatte bereits den Bug in die Durchfahrt zwischen den Spitzen geschoben.
Hier endlich konnte man die Sirenen nicht länger hören, weil das durch Echos verstärkte Rauschen des Wassers sie übertönte. Aber Blankehans verschaffte sich durch ihr Klatschen und Platschen Gehör, erregte an Bord der Dromond Aufmerksamkeit. Wenige Augenblicke später schwamm die Sternfahrers Schatz am Steinsims vorbei, und Matrosen warfen Taue herüber. In äußerster Eile zog man die Gefährten an Bord des Riesen-Schiffs.
Kaum eine Speerwurfweite hinter der Dromond kam die große Monoreme in die Durchfahrt gepflügt. Doch während die Sternfahrers Schatz das offene Meer gewann, hielt Rire Grist sein Wort. Seine Soldaten überschütteten den Bug der Monoreme mit einem Hagel von Brandpfeilen, zeigten unmißverständlich die Absicht an, jede weitere Verfolgung des Riesen-Schiffs zu verhindern. Wie die Edle Alif hatte auch er im Zusammenbruch von Kasreyns Herrschaft seinen eigenen Ehrbegriff gefunden.
Auf dem Kriegsschiff konnte man vom Ende dieser Herrschaft noch nichts wissen. Aber Rire Grist war hinreichend als Erfüllungsgehilfe des Wesirs bekannt. An die Autorität und unstete Launenhaftigkeit von Tyrannen gewöhnt, begann die Besatzung der Monoreme erbittert in Gegenrichtung zu rudern.
Ungeschoren lief die Sternfahrers Schatz, indem der Wind ihre Segel blähte, in die offene See und den Monduntergang hinaus.
21
MUTTERKIND
Schließlich begann Lindens Arm zu schmerzen. Ihr Blut schien sich in Säure verwandelt zu haben, sich von der Schulter aus an den Nerven oberhalb ihres Ellbogens entlang durch den Arm abwärtszufressen. Unterarm und Hand blieben noch so gefühllos und schwer wie totes Fleisch; doch zumindest ließ sich nun absehen, daß auch ihre Gebrauchsfähigkeit zurückkehren würde. Jeder empfindsame Zentimeter des Oberarms brannte und pochte unter dem Andrang von Blut.
Dieser Schmerz beanspruchte Lindens Aufmerksamkeit, beherrschte weite Teile ihres Bewußtseins, als wäre er auf ein qualvolles Leiden zurückzuführen. Wiederholt wälzte sich wie ein Nebel Lindens alte, finstere Stimmung in ihre Seelenlandschaft; und jedesmal verscheuchte das bloße Vorhandensein der Pein sie. Du hast mich ja sowieso nie geliebt. Als Linden aus ihrer Kabine dem grauen Morgen entgegenschaute, der sich in verwaschenen Fetzen über der aufgewühlten See abzeichnete, verschleierten sich ihre Augen und
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