Der einsame Baum - Covenant 05
Pulsschlag wummerte; ihre Haut spürte Paresen; die Eisigkeit abgestorbener Nerven brannte in ihren Zehen, Krämpfe gingen davon durch die Füße in ihre Waden aus. Der Abgrund seines Gifts zog sie an wie ein Strudel. Schwärze verdüsterte die Nacht, trübte den Schein der Laternen ringsherum. Macht – sie wollte Macht. Lindens Lungen teilten mit Covenant das Beben seiner Lungenflügel. In ihrem Herzen fühlte sie das Fressen, das an seinem Herzen nagte, den Herzmuskel schwächte, den Herzschlag schlaff machte. Ihre Schläfen fingen zu schmerzen an. Covenant war bereits ein menschliches Wrack, und seine Erkrankung und die Kraft, die ihn ihm hauste, bedrohte auch Linden mit Zerrüttung. Sie konnte das Entsetzen, das unter der Oberfläche ihrer Gedanken pulste, nur mit Mühe unterdrücken, und es kostete sie erhebliche Anstrengung, den Selbsterhaltungstrieb zurückzudrängen, der verlangte, daß sie von diesem unheilvollen Irrsinn abließ. Und doch tastete sie sich weiter durch Covenant, beobachtete das Gift, suchte nach einer Möglichkeit, sich Covenants Geist zu bemächtigen.
Plötzlich krampfte ihn eine Konvulsion zusammen. Die gemeinsame Reaktion warf Linden auf das Deck. Sie spürte, wie er mitten im Chaos seines Delirierens nach seiner magischen Kraft griff wie nach einem letzten Halt. Linden war ihm so vollständig ausgeliefert, daß jeder energetische Ausbruch sie durchlohen mußte wie eine gewaltige Stichflamme. Verzweiflung bestärkte Lindens Entschlossenheit. Sie gab alle Zurückhaltung auf, verlagerte ihre Sinne schlagartig in seinen Kopf, versuchte in sein Gehirn einzudringen. Für einen Augenblick geriet sie in ein Wirbeln wilder Magie, während Covenant um sich schlug und sein innerer Druck einer neuen magischen Explosion entgegenschwoll. Ein wahnwitziger Wirrwarr von Bildern durchtrudelte Linden: die Zerstörung des Gesetzesstabes; Männer und Frauen, die man wie Vieh verbluten ließ, um das Sonnenfeuer zu nähren; Lena und Vergewaltigung; ein mit beiden Fäusten geführter Dolchstoß, mit dem er einen Mann getötet hatte, den Linden nicht kannte; das Aufgeschlitztwerden seiner Handgelenke. Und Kraft – weißes Feuer, das über Mitglieder der Sonnengefolgschaft hereinbrach, Santonin und die Steinmacht in Asche verwandelte, unter den Gefolgsleuten Bluternte hielt. Macht . Linden konnte Covenant nicht bändigen. Er schüttelte ihre Bemühungen ab, als bestünde ihr gesamtes inneres Wesen und all ihre Willenskraft aus nichts als brüchigem altem Laub. In seinem Wahnsinn reagierte er auf ihre Präsenz, als wäre sie ein Wütrich. Sie schrie auf ihn ein. Aber ein wüster Ausbruch seines Rings schleuderte sie zurück.
Eine Zeitlang lag sie da wie inmitten von Böen aus Mitternacht. Covenants Verwirrung flackerte in ihr nach – Männer und Frauen wie Vieh hingeschlachtet, Schuld und Delirium, wilde Magie, geschwärzt vom Gift. Die Wucht seiner Gegenwehr brachte ihren ganzen Körper ins Glühen. Sie wollte schreien, vermochte sich jedoch gegen die Krämpfe, in denen ihre Lungen zuckten, nicht durchzusetzen.
Nach und nach wich das Wüten, bis es sich auf ihren Kopf beschränkte; und die Dunkelheit ringsum begann Gestalt anzunehmen. Sie saß halb aufrecht, gestützt von Cails Armen. Undeutlich sah sie vor sich die Erste, Blankehans und Pechnase kauern. Der Lichtschein einer Laterne erhellte die angespannte Besorgnis in ihren Mienen. Als sie mühselig ihren Blick auf die Riesen richtete, atmete Blankehans erleichtert auf. »Stein und See!« stieß Pechnase gequetscht hervor. »Bei der Macht, die ewig währt, Auserwählte! Du bist ein zähes Weib. Eine geringere Gewalt hat Ankermeister Derbhands Arm an zwei Stellen gebrochen.«
Er wußte, daß ich es war , meinte Linden zu antworten, merkte nicht, daß sie keinen Ton herausbrachte. Er hat nicht zugelassen, daß ich Schaden erleide.
»Die Schuld ist mein«, sagte die Erste grimmig. »Ich habe dich zu diesem Wagnis gedrängt. Dich trifft keinerlei Vorwurf. Nun liegt's nicht mehr in unserem Vermögen, ihm irgendwie Beistand zu leisten.«
Lindens Mund versuchte angestrengt, Wörter zu formen. »Vorwurf ...?«
»Er hat sich unnahbar gemacht. Wir sind nun auf Leben oder Tod hilflos.«
Unnahbar ...? Linden rang mit der Macht, die sie umgab, mühte sich ab, um einen Blick auf Covenant zu werfen. Die Erste nickte Blankehans zu. Der Riese rückte beiseite und gab Lindens Blickfeld frei. Als sie Covenant sah, wäre ihr fast ein Aufheulen entfahren. Er lag
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