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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Sein Anblick war nahezu zuviel für Linden. Vom Kopf bis zu den Füßen sah er zerschlagen aus, als hätte man mit Keulen auf ihn eingedroschen. Seine Augen waren geweitet und stier; nicht einmal eine restliche Spur von bewußtem Verstand oder geistiger Klarheit ließ sich noch darin erkennen. Das krampfhafte Knirschen und Schnappen seiner Zähne hatte ihm die Lippen aufgerissen. Seine Stirn glitzerte klatschnaß von Schweiß. In seinem jetzigen Zustand glich sein Bart, der ihm vorher etwas das Aussehen eines Forschers und Entdeckers gegeben, ihm ein Flair des Prophetischen verliehen hatte, einer Vergegenständlichung seiner Lepra. Und sein rechter Arm ... Gräßlich schwarz, entsetzlich angeschwollen, zuckte und krallte er neben ihm herum, gefährdete Covenant selbst und seine Freunde mit jeder Konvulsion. Der stumpfsilberne Reif seines Eherings schnürte seinen zweiten Finger ein wie blinde Grausamkeit, die sich in sein wehrloses Fleisch grub. Und an seiner Schulter war der Ärmel des T-Shirts bis zum Reißen gedehnt. Die Schwellung strahlte regelrecht Fieber aus, als wären seine Knochen zu Verhärtungen des Gifts geworden. Diese Emanation traf Lindens Gesicht wie Schwälle von Wärme, obwohl sie erst am Rande des Laternenscheins stand. Vermutlich wäre Covenant bereits gestorben, hätte er nicht den Druck des Gifts zu einem Teil durch seinen Ring ableiten können. Diese Erleichterung war anscheinend alles, was seine Erkrankung noch in für seinen Körper verkraftbaren Grenzen hielt.
    Linden winkte Cail unsicher zu, gab ihm zu verstehen, er solle zurückbleiben. Ihre Hände zitterten wie kranke Vögel. Cail zögerte; aber Brinn sagte etwas zu ihm, und er fügte sich Lindens Wunsch. Die Riesen bewahrten Abstand, hinter ihren zusammengebissenen Zähnen den Atem angehalten. Gleich darauf stand Linden allein in dem Helligkeitskreis, als hätte sie die Randzone einer ungeheuren Gefahr betreten. Sie betrachtete Covenant. Die Schrammen auf dem Deck bewiesen unanfechtbar, daß sie sich ihm nicht weit genug nähern konnte, um ihn anzufassen. Doch das hatte keinerlei Bedeutung. Keine Berührung von Händen war dazu imstande, seiner Marter entgegenzuwirken. Es kam darauf an, daß Linden ihn mit ihrer Seele erreichte. Ihn unter ihre Kontrolle nahm, seinen Widerstand so lange unterdrückte, daß man ihm Diamondraught einflößen konnte; ihn in ihre Gewalt bekam. Oder ihm seine Kraft entzog, falls sie stark genug war für so etwas. Lindens Gespür fürs Gesunde machte einen derartigen Versuch möglich. Doch Covenant strotzte von unfaßbaren Kräften und befand sich im Delirium; und nichts in Lindens gesamtem Dasein berechtigte sie zu der Hoffnung, mit ihm unmittelbar um die Beherrschung seines Rings streiten zu können. Falls ihr Versuch mißlang, konnte es sein, daß er sie im Verlauf der Auseinandersetzung umbrachte. Und falls sie Erfolg hatte ... Linden beschloß, ihre Bemühungen auf seinen Geist zu richten. Sie hatte den Eindruck, das sei das kleinere Übel.
    Zittrig focht sie gegen die Mulmigkeit in ihrem Bauch an, nötigte ihre bangen Füße zu zwei Schritten weiter ins Licht. Dreien. Dann blieb sie stehen. Sie ließ sich auf den Stein nieder, setzte sich, zog die Knie wie zum Schutz an die Brust. Die stille Luft fühlte sich in ihren Lungen an wie drohende Erstickung. Ein jämmerliches Stimmchen im Hintergrund ihres Bewußtseins winselte um Gnade oder Flucht. Aber Linden hatte nicht die Absicht, jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Ihr Entschluß stand fest. Indem sie ihrer Anfälligkeit trotzte, ihrer Furcht vor Bösem, Besessenheit und Versagen, öffnete sie Covenant ihre Sinne.
    Sie begann an seinen Füßen, weil sie hoffte, sich gewissermaßen in seinen Körper einschleichen, seine Abwehrhaltung unterlaufen zu können. Doch schon der erste Kontakt war so, daß sie fast geflohen wäre. Seine Krankheit übersprang die Kluft zu ihren Nerven wie mörderische Glut, drohte ihre Selbstbeherrschung zu erschüttern. Für einen Moment erstarrte sie vor Grauen. Aber da kehrte ihr alter Eigensinn zurück. Durch ihn war sie geworden, was sie war. Wenn sie keine Medikamente, kein Skalpell benutzen konnte, mußte sie eben verwenden, was ihr an Hilfsmitteln zur Verfügung stand. Sie kniff die Augen zusammen, um sich durch Covenants Qual nicht ablenken zu lassen, und ließ ihre Wahrnehmung sein Bein hinauf in die Richtung seines Herzens gleiten.
    Sein Fieber schwoll in ihr, während ihre Sinne sich vorwärtstasteten. Ihr

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