Der einsame Baum - Covenant 05
sondern weil die Gebärde ihre Anstrengungen unterstützte, die Töne aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen oder wenigstens zu mißachten. Linden schwitzte in der feuchtwarmen Luft des Mittags. Die Sonnenkundige? Vorzeichen naher Panik verzerrten ihr Gesicht. Die Sonnenkundige?
Covenant stieß wiederholt unterdrückte Flüche aus. Sein Ton entsprach irgendwie dem Weiß seiner hervorgetretenen Fingerknöchel. Als Linden ihn anschaute, sah sie, daß er die Stelle im Gras anstarrte, wo Daphin verschwunden war, als wolle er sie mit seinem magischen Feuer versengen. Die Haruchai hatten sich nicht geregt. Blankehans hatte aus Verwunderung oder Unbehagen den Kopf zurückgebogen. Seeträumer musterte Linden eindringlich, offenbar zu begreifen bemüht. Pechnase stand neben der Ersten, als stütze er sich an ihr. Der Blick der Ersten ruckte mit der Schärfe eines Messers zwischen Linden und Covenant hin und her. Hohls schwarze Miene sah nach heimlicher Erregung aus. »Sonnenkundige?« meinte die Erste gepreßt. »Was bedeutet ›Sonnenkundige‹?«
Linden tat einen Schritt auf Covenant zu. Sie hatte das Gefühl, daß seine Flüche ihr gälten. Das vermochte sie nicht zu ertragen. »So etwas bin ich nicht .« Ihre Stimme besaß im Sonnenschein einen wie entblößten Klang, bar aller Musik, die ihr Schönheit verliehen hätte. »Du weißt, daß ich so was nicht bin.«
Covenants Mienenspiel begann nachgerade zu wüten. »Hölle und Verdammnis! Natürlich bist du's! Hast du denn eigentlich überhaupt noch nichts kapiert?!«
Sein Tonfall ließ Linden zurückzucken. Daphins Du nicht! bildete in ihm einen Knoten der Erbitterung, den Linden so deutlich erkennen konnte, als zeichne er sich auf seiner Stirn ab. Er war nicht dazu imstande, etwas am Sonnenübel zu ändern. Und seinetwegen hatten die Elohim die Begrüßung abgebrochen. »Was ist eine ›Sonnenkundige‹?« fragte die Erste mit strenger Geduld noch einmal.
Covenant antwortete, als schnauze er sie an. »Jemand, der das Sonnenübel beeinflussen kann.« Seine Miene spiegelte Selbstüberdruß wider.
»Sie werden uns nicht empfangen.« Vor Kummer klang Blankehans' Stimme kindlich schwach. »Ach, ihr Elohim! «
Linden suchte nach einer Möglichkeit, Covenant antworten zu können, ohne Streit mit ihm anzufangen. Ich habe keine Macht. Schweiß rann ihr in die Augen, brachte ihre Sicht ins Verschwimmen. Die Spannung unter ihren Begleitern fühlte sich für sie unnatürlich an. Dieser Zorn, diese Trauer, so hatte es den Anschein, verletzte die ausgedehnte Geruhsamkeit des Woodenwold und der Maidan . Doch dann reichte ihr Gespür tiefer. Nein , dachte sie. Nein, so ist es nicht. Irgendwie war eben die Friedlichkeit des Tals – so empfand sie es – die Ursache dieser heftigen Gefühlsregungen. Die Luft ähnelte einem Aroma, das zu stark war, um etwas anderes als unangenehm zu sein. Aber die Ausweitung ihrer Wahrnehmung machte Linden wieder für das Glöckchenläuten empfänglich. Oder es näherte sich wieder. Das Klingen drängte sich ihrem Bewußtsein zudringlich auf. Pechnases Stimme klang in ihren Ohren, sobald er den Mund öffnete, als werde sie künstlich gedämpft. »Mag sein, ihr Willkommen ist uns nicht versagt. Schaut!«
Linden blinzelte ihr Blickfeld rechtzeitig genug frei, um vor sich zwei Gestalten aus dem Erdboden aufwallen zu sehen. Zügig verwandelten sie sich aus Gras und Erde in menschliche Umrisse. Die eine Gestalt war Daphin. Ihr Lächeln war verschwunden; an seine Stelle war sachliche Ruhe getreten, die Bedauern ähnelte. Ihr Begleiter jedoch zeigte ein Lächeln, das auf ein Schmunzeln hinauslief. Es handelte sich um einen Mann, dessen Augen so blau waren wie Hyazinth, die gleiche Farbe wie sein Gewand besaßen. Wie Daphins Kleid war auch sein Gewand kein von Hand angelegtes Kleidungsstück, sondern eine Art von Bekleidung, die er in und aus sich selbst geschaffen hatte. Mit gewissenhafter Eleganz zupfte er die Falten zurecht. Der Schimmer in seinen Augen mochte auf Freude oder Spott zurückzuführen sein. Die Begleitmusik der Glöckchen verwischte den Unterschied. »Ich bin Chant«, sagte der Mann unbekümmert. »Ich bin gekommen, um Wahrheit zu finden.« Sowohl er wie auch Daphin betrachteten Linden. Die Direktheit dieser Begutachtung, das Durchdringende ihres Charakters legten jede einzelne Faser ihrer Natur bloß. Im Vergleich dazu war ihre besondere Sinneswahrnehmung eine niedrige, grobschlächtige Fähigkeit. Diese beiden Personen übertrafen alle
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