Der einsame Baum - Covenant 05
verwirbelten und gerillten Oberflächen seiner Seiten – geformt und zerfurcht durch ganze Zeitalter der Gischt und des Sprühwassers, mit den uralten Schneckenverzierungen des Wassers versehen – gaben ihm ein Aussehen schlüpfrigen Zerfließens, änderten allerdings nichts an seinen grundsätzlichen inneren Eigenschaften. Daphin und Chant winkten den Gefährten zu, daß sie ihnen folgen sollten, durchquerten leichtfüßig das Rinnsal unter der Fontäne und erstiegen so unbeschwert, als wären sie tatsächlich aus nichts als Luft, die Schräge des nassen steinernen Kegels. Droben verschwanden sie ohne jede Vorankündigung, als hätten sie sich mit einem Schlag selbst in Kalktuff verwandelt. Linden blieb stehen und starrte hinauf. Ihre Sinne vermochten die Elohim nicht mehr wahrzunehmen. Das Läuten war kaum noch zu hören.
Hinter ihr räusperte sich Blankehans. »Elemesnedene« , sagte er heiser. »Der Clachan der Elohim. Nie hätte ich gedacht, daß ich einen solchen Anblick noch einmal erleben dürfte.«
Covenant widmete dem Kapitän einen verdrossenen Blick. »Was machen wir jetzt?«
Zum erstenmal, seit die Sternfahrers Schatz vor der Raw- Mündung Anker geworfen hatte, lachte Blankehans. »Wir tun desgleichen wie unsere Gastgeber. Wir treten ein.«
Linden wollte ihn nach dem Wie fragen, überlegte es sich jedoch anders. Nachdem nun das Schweigen gebrochen war, erachtete sie eine andere Frage als wichtiger. »Hört einer von euch Glöckchen läuten?«
Die Erste warf ihr einen scharfen Blick zu. »Glöckchen?« Pechnases Miene kam einer Widerspiegelung der Verständnislosigkeit gleich, die die Erste zeigte. Seeträumer schüttelte den Kopf. Brinn hob auf eine Weise die Schultern, die eine Verneinung andeutete. »Die Elohim sind kein Volk, das die Musik liebt. Nie habe ich bei ihnen Glöckchen, ja niemals Gesang vernommen. Und in all den Geschichten, die unter uns Riesen über Elemesnedene erzählt werden, findet sich keinerlei Erwähnung von Glöckchen.«
Insgeheim stöhnte Linden auf. Wieder einmal war sie allein mit dem, was sie wahrnahm. Hoffnungslos wandte sie sich nach Covenant um. Sein Blick ruhte nicht auf ihr. In der Art, wie er die Fontäne anstarrte, glich er der Verkörperung einer Gewitterwolke. Seine Linke drehte den Ring um den äußeren Finger seiner Halbhand. »Covenant?« fragte Linden.
Er ging nicht auf sie ein. »Sie glauben, ich bin zum Scheitern verurteilt«, knirschte er statt dessen durch die Zähne. »So was kann ich nicht gebrauchen. Ich habe nicht so lange durchgehalten, um mir so was anzuhören.« Jede Linie seines hageren, trotzigen Gesichts sprach von totaler Ablehnung jedes Gedankens an Scheitern. Aber dann setzte sich seine Entschlossenheit wieder durch. »Also los! Du bist die Sonnenkundige.« Sein Ton strotzte von Schärfe und Bitterkeit. Im Interesse der Suche fand er sich mit den Rollen ab, die die Elohim verteilt hatten. »Du solltest zuerst gehen.«
Sofort fühlte sich Linden geneigt, zu widersprechen, zu versichern, sie sei nichts dergleichen wie eine Sonnenkundige. Möglicherweise konnte das ihn trösten oder zumindest den Grimm mildern, der in ihm brodelte. Aber erneut riet ihre Empfindung des Entblößtseins ihr zum Schweigen. Statt zu antworten, kehrte sie sich der Erhebung und dem Rinnsal zu, atmete tief ein, hielt den Atem an. Indem sie Cail einen halben Schritt vorausging, trat sie ins Wasser. Im selben Augenblick fuhr ein heißes Kribbeln durch ihre Waden, erfüllte ihre Füße. In der ersten Sekunde schrak sie fast zurück. Doch da übermittelten ihre Nerven ihr, daß die Erscheinung harmlos war; sie verursachte lediglich eine rein äußerliche Gänsehaut, schadete jedoch nicht im geringsten. An ihren zwangsweisen Mut geklammert, watete Linden durch das Bächlein und stieg auf den alten Intaglio des Kalkgesteins. Sie erklomm den Kegel, Cail an ihrer Seite. Plötzlich schien rings um sie irgendeine Energieform aufzulohen, als wäre Linden eine glühende Kohle, in ein Pulverfaß geworfen. In ihrem Kopf läuteten von neuem Glöckchen; ihr Klingen spielte auf allen Seiten einen Kotillon. In Lindens Blut platzten Blasen aus Glaukonit und Granat; die Luft wallte, als entströme sie einem Rauchgefäß; die Welt trudelte.
Im nächsten Moment stolperte Linden in ein Wunderland. In fassungslosem Staunen rang sie um Atem. Wasser und Kalktuff hatten sie an einen völlig anderen Ort versetzt – eine Stätte von geisterhafter Bewunderungswürdigkeit. Über ihr
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