Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
von hier aus Tagesausflüge unternahmen. Sie erzählten von gewaltigen Muskelkatern, ungeheuren Tagesleistungen von bis zu 70 Kilometern und erklärten dann ihre Absicht, sich noch einmal ordentlich auszuruhen, bevor sie ihre empfindlich weich gerittenen Hintern erneut auf einem Fahrradsattel strapazieren wollten. Damit brachen sie zu ihren Zimmern auf.
Kaum hatte ich mich vollständig gesättigt auf meinem Stuhl zurückgelehnt, stand die Mütterliche neben mir und fragte mich, ob sie mir noch irgendetwas bringen könne.
Ich winkte erschrocken ab: »Nein, nein danke. Ich bin vollkommen satt.«
Enttäuscht und fast verzweifelt um mein Wohlergehen bemüht bedrängte sie mich mit einem liebenswerten Lächeln: »Aber wenigstens noch einen Orangensaft.«
Ich gab den Widerstand auf. Sie stellte mir eine volle Karaffe auf den Tisch, deren Inhalt dann doch noch irgendwie zwischen den anderen guten Sachen einen Platz in meinem Magen fand.
Beim Aufbruch war sie wieder zur Stelle. Sie holte mein Rad aus der Garage, hielt es, während ich das Gepäck auflud, zurrte hier und da ein Teil fest, das ihr nicht sicher genug befestigt erschien, und warnte mich noch einmal vor den Gefahren, die auf Bundesstraßen und Landstraßen auf mich lauerten. Dann beschwor sie mich, doch unbedingt den Alme-Weg einzuschlagen, der würde gleich hier hinter der Brücke beginnen. Um ihre Güte vollzumachen, füllte sie mir noch meine Wasserflasche auf.
Immer noch im Glauben etwas Sinnvolles zu tun, holte ich meinen Fotoapparat hervor, wählte einen gelungenen Ausschnitt mit der Mütterlichen vor dem Hoteleingang und drückte hoffnungsvoll auf den Auslöser.
Ich nahm den Alme-Weg.
Der Tag begann grau. Der Regen ließ nicht lange auf sich warten. Er begann zaghaft. Hinter der Brücke über die Alme, neben der Alme, spürten mich seine ersten Tropfen auf. Das störte mich wenig. Nach einem derartigen Frühstück lässt sich so einiges ertragen.
Der Alme-Weg erwies sich als gut befahrbarer Feldweg, meist in Sichtweite des Flüsschens, das ich einmal auf einer schmalen Holzbrücke überquerte, wonach ich bald mitten in Büren vor gelben Straßenschildern stand, auf denen ich sofort Brilon und sogar Alme fand. So kostete mich die Wegfindung diesmal nur eine kurze Rotphase an der Ampel und schon ging die Reise weiter auf die Katastrophe dieses Tages zu.
Die Reifen surrten auf Asphalt. Neben mir, etwas tiefer gelegen, verschwand das Flüsschen ab und zu hinter hohen grünen Laubbäumen, um gleich darauf munter und frisch aus seinem Versteck hervor zu schießen und mich zu begleiten. An seiner gegenüberliegenden Seite folgte ihm ein schmaler Weg.
Sollte das etwa der richtige Alme-Weg sein? Sicher war ich mir nicht.
Diese Straße hier jedenfalls war gut befahrbar. Das Verkehrsaufkommen war gering. Die Witterung mild. Der Regen eine angenehme Erfrischung. Ich brauchte keine Kapuze. Das Wasser, das mir den Nacken hinunterlief, störte mich nicht. Die leichten Steigungen waren bequem zu bewältigen. Die Abfahrten schafften angenehme Erholungspausen. Ich fühlte mich pudelwohl. Kurz vor Brilon erklärte sich eine Abzweigung zu der von meinem Routenplan favorisierten R47. Natürlich folgte ich den Schildern zwischen Gärten und unschönem Bauerwartungsland hindurch bis in den Ort hinein, wo die Kennzeichnung beim Friedhof endete und folgerichtig die Katastrophe begann.
Es regnete. Die Straßen waren menschenleer. Wer nicht schon zur Arbeit gegangen war, blieb tunlichst im Haus.
Ich stieg vom Rad und machte mich auf die Suche nach einer Person, die ich befragen konnte. Auf gut Glück wollte ich nicht weiterfahren, dazu waren der Möglichkeiten zu viele. Weit und breit war niemand zu sehen. Nur auf dem Friedhofsgelände kurvte ein Farbiger auf einem dieser verkleinerten Bagger, wie sie die Landschaftsgärtner benutzen und die, wie große Spielzeuge aussehen, mit lautem Geknatter unaufhörlich und wie mir schien völlig sinnlos im Kreis herum. Vielleicht konnte er mir weiterhelfen. Dazu war es nötig näher an ihn heranzukommen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Irgendwo musste dieser Friedhof einen Eingang haben. Also schob ich mein Rad immer am Zaun entlang. Die Sterberate vor Ort schien ziemlich hoch zu sein. Oder man hatte langfristig geplant. Dieser Friedhof hatte gewaltige Ausmaße, der Zaun nahm kein Ende und hatte auch kein Tor.
Ein kleiner nasser Hund schürte herbei, schnüffelte kurz an meinem Bein, trippelte schnellfüßig davon. Hinterm
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