Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Zaun ein Abfallhaufen. Die frische Regenluft wurde schwer vom Duft welker Chrysanthemen. Eine finstere Kapelle kam in Sicht. Davor ein Parkplatz mit Parkuhren. Nur ein Auto stand darauf. Kein Mensch zu sehen. Die Straße führte in einem Bogen um die Kapelle herum. Es ging steil bergab. Ich hatte keine Lust dort hinunterzufahren und mich womöglich wieder zurückquälen zu müssen. Wo ein Auto ist, muss in absehbarer Zeit ein Mensch auftauchen und wenn er nur kam um die Parkuhr zu füttern. Ich stellte mich unter einen Baum und wartete.
Keiner kam. Nichts rührte sich. Dann schnürte der kleine Hund wieder heran. Suchte er Anschluss, Trost und Schutz vor der Nässe bei mir? Nein, er rannte zum Auto, blieb kläffend davor stehen. Ein Schirm schob sich aus dem Wageninneren, darunter Frauenbeine. Der Vordersitz wurde umgeklappt. Der Kleine sprang hinein. Ich hatte nicht daran gedacht, dass jemand im Wagen sitzen könnte. Da bot sich eine Chance. Aber ich musste mich beeilen. Ich ließ mein Rad im Stich. Die Wagentüre klappte zu. Die Scheibenwischer bewegten sich.
Ich klopfte an die Seitenscheibe. Eine junge Frau saß dahinter. Ihr Haar war kurz geschnitten. Sie sah sportlich aus. Ich wurde von oben bis unten gemustert. Dann kurbelte sie das Fenster herunter.
»Ja?«
Ob sie mir den Weg nach Olsberg beschreiben könne? Olsberg war nicht unbedingt mein Tagesziel. In dieser Gegend gab es viele Campingplätze in bequemen Abständen voneinander. Olsberg war der nächste größere Ort in meiner Richtung.
»Da fahren Sie einfach die Straße am Friedhof entlang, bis Sie an eine große Kreuzung kommen. Dort biegen Sie links ab und immer gerade aus.«
Sie musterte meine triefende Gestalt noch einmal von oben bis unten.
»Es ist nicht weit«, fügte sie hinzu und kurbelte das Fenster wieder hoch. Der kleine Hund auf dem Rücksitz hob den Kopf und gähnte mich spöttisch an.
Traue niemals einem Autofahrer.
Die Kreuzung hatte gewaltige Ausmaße. Nach Olsberg musste man sich links einordnen. Ich kämpfte mich eine steile Auffahrt hinauf und folgte der nachfolgenden Steigung auf der Standspur einer mehrspurigen Straße. Das kannte ich schon. Was ich nicht kannte, war etwas Fragwürdiges. Herrschten in dieser Gegend italienische Sitten? Waren die Autofahrer hier überfreundlich? Waren sie übervorsichtig? Wollten sie mich begrüßen? Wollten sie mich warnen? Wenn ja, vor sich, oder vor einer ungesetzlichen Handlung, die ich vielleicht gerade unwissentlich beging?
Jedenfalls gab es ein entsetzliches Gehupe. Jeder zweite Fahrzeugführer betätigte sein Signalhorn, wenn er eingehüllt in nassem Nebel an mir vorbeirauschte.
Jedes Mal zuckte ich erschrocken zusammen, steuerte fast gegen die Leitplanke. Hier war es mir entschieden zu laut. Vielleicht hatte ich diesmal wirklich ein Schild übersehen. Ich sehnte die nächste Abfahrt herbei, um mich vor dem Lärm in Sicherheit zu bringen. Zum Glück ließ sie nicht lange auf sich warten.
So. Dem Hupkonzert war ich entkommen. Aber weiter gekommen war ich nicht. Um mich herum Regen und Einsamkeit, obwohl ich aus Brilon noch gar nicht herausgekommen war. Ich hätte heute Morgen lieber die Landkarte auswendig lernen sollen, statt mir den Bauch vollzuschlagen. Hunger bekam ich jetzt auch noch. Wo sollte hier jemand auftauchen, den ich fragen konnte? Das Schicksal beantwortete diese Frage überraschend spontan: Aus der nächsten Kurve schwenkte ein bunter Schirm herein. Darunter wurde ein Rad geschoben. Ein Damenrad.
Männer in Regenklamotten, die Fahrräder mit Packtaschen mit sich führen, sind unverdächtig. Sie dürfen auch auf einsamen Straßen Frauen ansprechen.
»Nach Olsdorf? Mit Fahrrad? Oh, ich wissen!«
Dieser Akzent! Würde sie gleich sagen: »Geht auch mit Auto.«?
Nein. Sie erklärte mir, dass ich nur dieser Straße unter der Ausbaustrecke hindurchzufolgen habe. Dann würde ein Schild kommen mit der Aufschrift: R 47. Das wäre der richtige Weg.
Ich erreichte das Schild, bog in einen Feldweg, sah unter dem dichten Blätterdach einer Kastanie eine Bank stehen und machte erst einmal eine etwas verspätete Mittagspause. Mit einem Pfund Quark im Magen stieg ich wieder aufs Rad.
Der Feldweg endete hügelauf an einem quer laufenden Weg. Einen weiteren Hinweis gab es nicht. Selbst mein verkümmerter Orientierungssinn sagte mir, dass rechts unten Brilon liegen müsse, also schlug ich die andere Richtung ein. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Der Himmel über der
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