Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
und wer weiß, wo wieder aufzubauen erschien, mir nicht erstrebenswert. Lieber wollte ich in den Ort gehen und meine Vorräte auffrischen.
Ich behielt den Regenanzug und die Turnschuhe an, packte die wenigen Wertgegenstände, die ich hatte, in einen kleinen Rucksack und zog los. Auf das Fahrrad konnte ich verzichten. Der Ort war nicht groß, hatte aber einiges zu bieten. Es gab eine Kapelle, eine Kirche, ein Schloss mit einer Brauerei, diverse Gaststätten, eine Schützenhalle, einen Sportplatz und einen Edeka-Laden, der allerdings nur am Nachmittag geöffnet hatte. Zwangsläufig fand ich nun Zeit mich umzusehen und entdeckte die eigentliche Attraktion, nämlich die Bruchhauser Steine und den Weg dorthin. Zwar standen mir einige Kilometer Fußmarsch bevor, aber einen besseren Zeitvertreib bis der Lebensmittelladen öffnen würde konnte ich mir gar nicht vorstellen.
Bergwanderungen hatte ich immer gerne gemacht. Es ging zwischen grünen Weiden und Feldern bis zum Hang, dann einen schmalen Steig durch Mischwald zu einer Info-Center genannten Gaststätte hinauf.
Spuren einer Fliehburg mit Wallanlagen zwischen Vulkanfelsen wollte man hier gefunden haben. Und schon in grauer Vorzeit sollte das Gebiet den Menschen als Kultstätte gedient haben. Zum Beleg dieser Behauptung dienten Großfotos im Innenraum des Info-Centers und ein kleines Modell der Wallanlagen. Leider musste ich Eintritt für das Betreten des Geländes bezahlen, da es sich in Privatbesitz des ansonsten Bier brauenden Freiherrn von Fürstenberg befand und in Form einer Stiftung verwaltet wurde. Das Geld sollte der Forschung dienen. Also tat ich, wenn auch widerstrebend etwas für die Not leidende deutsche Archäologie.
Im Wald wanderte ich einigermaßen vor dem Regen geschützt von einem Felsen zum anderen, immer bemüht einigen ungeordnet herumirrenden Schulklassen auszuweichen. Zum Schluss erklomm ich noch den höchsten Punkt der Landschaft, einen Felsen, der an seinem Fuß eine urweltliche Höhle barg und auf den ein kleiner Klettersteig, fast wie im Hochgebirge führte. Auf seiner Spitze fühlte ich mich dann wirklich wie im Hochgebirge. Ein eiskalter Sturm peitschte mir Schneeflocken, Hagelkörner und Regen ins Gesicht. In der Tiefe wogte Nebel. Ich zerrte meinen Fotoapparat hervor und brach dabei die Kurbel ab. Das Schneetreiben wurde dichter. Vom Tal war nichts mehr zu sehen. Ich verzog mich auf die vom Wind abgewandte Seite des Felsen und sah eine Schulklasse nahen. Das schlug mich endgültig in die Flucht.
Als ich am Waldrand auf Ortshöhe bei den Wiesen und Feldern anlangte, legte der Sturm noch einmal zu. Orkanartige Böen drückten die Baumwipfel zu Boden. Begleitet wurden sie von einem wolkenbruchartigen Schauer. In Gedanken sah ich schon mein Zelt davonfliegen, oder endgültig absaufen.
Das Wetter beruhigte sich. Ich versorgte mich mit Lebensmitteln. Mein Zelt stand noch, wenn auch triefend, auf seinem Platz.
Später erfuhr ich in meinem Radio, dass in dieser Nacht Temperaturen zwischen 3° und 0° zu erwarten waren. Dick eingemummelt in meinen Schlafsack empfing ich gegen 21.00 Uhr ein Telefonat von Marlies, teilte dem Recorder die Ereignisse des Tages mit und wartete auf die Kälte in der Nacht.
Sechster Tag
Die Kälte kam. Doch sie traf mich nicht. Ein Mensch, der gerne alles unter Kontrolle hat, bemüht sich zwangsläufig darum Prophezeiungen auf Richtigkeit zu überprüfen. Dazu wachte ich einmal in der Nacht auf, streckte die Nase kurz aus der Kapuze des Schlafsacks, empfand Kälte an ihrer Spitze, fühlte mich ansonsten behaglich warm und schlief beruhigt wieder ein. Der Wetterbericht hatte sich als richtig erwiesen und mein Schlafsack war sein Geld wert.
Gut ausgeschlafen kroch ich aus dem Zelt. Das schlechte Wetter hatte sich ausgetobt. Hochnebel stand über den Bäumen und die Sonne dahinter war schon dabei, ihn fortzuschaffen.
Meine nassen Textilien hingen schon seit dem Vorabend über der Heizung im Trockenraum bei den Duschen. Jetzt lehnte ich die Luftmatratze auf der Sonnenseite gegen das Zelt.
Beim Frühstück besuchten mich der Alte und die Frauen. Was ich gestern gemacht hätte, bei dem schrecklichen Wetter. Ich erzählte es ihnen. Sie bestaunten meinen Spaziergang wie eine alpine Höchstleistung. Sie wären auch schon einmal bei den Steinen gewesen, erfuhr ich. Aber sie wären mit dem Wagen gefahren. Zu Fuß wären sie nicht mehr so gut zuwege. Und dann sei der Felsen
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