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Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Titel: Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
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viergeteilten Fenstern. Vor dem türkischen Café saß ein einzelner Mann mit grauem Schnauzbart. Er hatte seinen Stuhl gegen die Wand gekippt und schlief. Quer vor ihm auf dem Tisch lag ein Spazierstock. Sein Gesicht war den nackten Schaufensterpuppen zugewandt.
    Der Fotoladen hatte schon geöffnet. Ich erzählte der Verkäuferin von meinem Missgeschick und ließ mir Geräte zeigen, die meine Reisekasse nicht belasteten, handlich waren und robust. Ich entschied mich für ein Komplett-Angebot, ein Autofokus-Modell mit Film und lederner Gürteltasche, das sich wie ein Colt tragen ließ.
    Am Ende meiner Fahrt sollte ich feststellen, dass ich Glück im Unglück gehabt hatte, als die Kurbel von meinem alten Apparat abgebrochen war, denn auch die Batterie hatte versagt und der Film war unbelichtet. Möglicherweise wäre ich ohne dieses scheinbare Pech mit einem halben Dutzend unbelichteter Filme zurückgekehrt. Der neue Apparat erwies sich als zuverlässig, wenn auch mit den typischen Mängeln solcher Geräte behaftet, die nur das Knipsen, aber kein fotografisches Gestalten zulassen.
    Fünf jüngere Türken saßen jetzt gleichförmig ausgerichtet vor dem Café. Der Schnauzbärtige mit dem Spazierstock war verschwunden.
    Marburg an der Lahn war für heute vorgesehen. Eigentlich hatte mein Routenplan da einen Umweg geplant, denn Marburg lag im Westen, der Bodensee im Süden. Diese Stadt aber ist einen Umweg wert.
    Die Sonne wollte die Versäumnisse der letzten Tage wieder gutmachen. Sie brannte heiß herab. Ich schützte Stirn und Nase mit einer Baseballmütze. Der Lahnweg war so freundlich sich nicht zu verstecken. Das hatte er auch wahrhaftig nicht nötig. Die Wege waren gut, die Landschaft schön, die Beschilderung fast perfekt.
    Nur einmal hatte ein Irrsinniger den Pfeil auf einem Schild mit einer Spraydose unkenntlich gemacht. Eine Passantin im nächsten Ort konnte mir weiterhelfen.
    Dann aber gab es Schwierigkeiten. Der Radweg endete an einer eisernen Treppe, die zu einer Eisenbahnbrücke gehörte, die mit einem schmalen Steg für Fußgänger versehen war, auf dem ich zwischen Blechwänden und engmaschigen Gittern auf stählernen Platten ein breites Tal überqueren sollte. Die Treppe bot keine Möglichkeit, ein Fahrrad hinauf zu schieben. Der Fußgängerweg war zu eng für meine Packtaschen. Ich war frustriert.
    Ein junger Mann im dunkelblauen T-Shirt und Radlerhosen schob vorsichtig sein Mountainbike zwischen Wand und Gittern zu mir herüber.
    Vielleicht gab es noch einen zweiten Weg zur anderen Seite des Tales. Ich erkundigte mich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Und wenn ich schiebe?«
    »Das geht nicht. Da unten fließt der Fluss.«
    »Der schmale Gang da oben ist nicht breit genug, für mein Gepäck.«
    »Das stimmt. Aber Sie haben noch Glück. Im Hochsommer gibt es hier regelmäßig einen Stau. Da kommen die Leute von beiden Seiten, treffen sich in der Mitte und streiten sich dann, wer zuerst über die Brücke darf.«
    Er hatte sein Rad die Treppe heruntergetragen und stand, ein Bein schon über den Sattel geschwungen fahrtbereit neben mir.
    »Dann muss ich abbauen und Stück für Stück hinübertragen.«
    Er schaute über die Schulter hinweg erst mich und dann mein Gepäck an.
    »Das ist die einzige Möglichkeit«, schloss er sich meiner Meinung an. Er wirkte jetzt leicht verunsichert. Vermutlich war er sich im Zweifel darüber, ob er mir seine Hilfe anbieten sollte oder nicht. Dann entschied er, dass die Zeit der Pfadfinder und guten Taten vorbei war, und ließ mich allein zurück.
    Ich war wütend. Nicht auf den jungen Mann. Nein, ich war wütend auf dieses Hindernis, das sich mir da in den Weg stellte und die Plackerei, die ich damit hatte. In dieser Stimmung riss ich die Packtaschen vom Gepäckträger und schaffte sie die Treppe hinauf und danach das Rad. Ich überwand den Engpass in Etappen, indem ich erst die Taschen um jeweils ungefähr zehn Meter vorausschleppte und dann das Rad hinterher schob. Die ganze Zeit über saß mir die Angst im Nacken, dass mir ein anderer Radfahrer begegnen könne und dann der von dem jungen Mann beschriebene Streit um die Vorfahrt entbrennen würde. Aber ich hatte Glück. Zumindest was diese Gefahr anging.
    Als die Brücke hinter mir lag, der Damm breiter wurde, hielt ich das Ereignis im Bilde fest.
    Bald, nachdem ich wieder aufgeladen hatte und im Sattel saß, endete der Damm an einer Bundesstraße mit Radweg. Der befand sich natürlich auf der anderen Straßenseite. Ich

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