Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Hand gehalten hatte. Seine Zunge benetzte noch einmal, die Entbehrung vorwegnehmend seine Lippen. Er schob die Flasche zögernd, nun aber entschlossen, zu mir hinüber.
So viel Selbstlosigkeit mochte ich nicht annehmen. Auch ich bin ein Mann von Charakter, der Entbehrungen auf sich nehmen kann und sich vom Schicksal nicht unterkriegen lasst - auch wenn er dabei auf die, lang ersehnte, aus Hopfen und Malz gebraute Labsal verzichten muss.
Ich sagte also: »Lassen Sie nur, ich kann mir auch einen Tee kochen.«
Das machte ihn offensichtlich glücklich und er beeilte sich, mir einen guten Platz für mein Zelt zu zeigen.
Der Platz war wirklich gut. Sogar eine Holzbank stand mir zur Verfügung.
Während der Tee kochte, versorgte ich meine Wunde. Sie sah sauber aus, war trocken und nur leicht gerötet. Ich klebte sie mit einem langen Streifen Hansaplast zu, damit des Nachts keine Fremdkörper eindringen konnten.
Der Tee war fertig. Ich setzte noch einen zweiten Topf Wasser auf den Kocher.
Später, auf der Bank sitzend, die Blechtasse mit dem Tee neben mir immer wieder leerend, beschlichen mich ein paar Gedanken. Was, so fragte ich mich, trieb diese Männer mit den grauen oder weißen Haaren an die Landstraßen, wo sie dann herumstanden, dem Verkehr zusahen und wirkten als würden sie auf ein Ereignis warten, das nie eintreten würde. Warum saßen sie so gerne vor den Kiosken der Campingplätze statt in den Gartenrestaurants ihrer Heimatorte? War es der Wandertrieb, der seit Urzeiten in uns steckt, der sie, zwang auf diese Weise nach einer Ersatzbefriedigung zu suchen? Der sie zu Fans machte. Fans, von Leuten, die Freiheit wenigstens zeitweise in ursprünglicher Form, ohne ein Übermaß an Zivilisation zu leben verstanden. Hatten sie auf diese Weise Teil an dem Traum sich aus dem Alltag zu lösen, ihm zu entfliehen, dem in ihrem Leben die Gebundenheit durch Gewohnheit, oder persönliche Rücksichtnahme auf Lebensgefährten, oder was auch immer entgegenstand?
Oder wollten sie, Fernsehen und anderen Medienberichten zum Trotz, wie in alten Zeiten den Bericht von Reisenden auf Tuchfühlung erzählt bekommen?
Fragen hatte ich noch mehr. Antworten darauf leider nicht. Also kroch ich ins Zelt. Schlaf war effektiver, als der Versuch Erklärungen für psychologische Phänomene zu finden. Sollen sich die Gerontologen damit abplagen.
Achtzehnter Tag
Die Sonne weckte mich. Die Luftmatratze hatte in dieser Nacht vergessen, dass sie undicht war. Ich duschte mit einer Plastiktüte über dem Arm. Das Pflaster blieb trocken. Ich ließ es an seinem Platz.
Zum Frühstück gab es, wie immer, einen Cappuccino und eine Portion Quark. Dann ging es los.
Zunächst fuhr ich durch eine wunderschöne Landschaft mit sanften Steigungen und leichten Abfahrten in Richtung Münsingen, direkt nach Süden.
Da ich aber nicht nach Lindau wollte, sondern zu den Pfahlbauten nach Unteruhldingen, also über Überlingen, musste ich mich weiter westlich halten. Das brachte mich zwar dem Bodensee nicht näher, dafür aber einem Hinweisschild, das mich zu einem Schloss namens Lichtenstein mit »schöner Aussicht« und einem Café locken sollte.
An lüsternen Tagen kann ich mir den Blick in das Dekolleté einer schönen Frau nicht verwehren, an sonnigen Tagen geht es mir mit dem Blick auf ein eindrucksvolles Bauwerk und in eine schöne Landschaft ebenso.
So machte ich mich denn an den Aufstieg. Natürlich stand das Schloss, oder besser gesagt: die Burg, auf einem Felsen in 817 m Höhe. Und - natürlich musste ich schieben.
Da ich unterwegs in einem kleinen Ort Bargeld und Lebensmittel ergänzt hatte und an einem Brunnen Frischwasser in mich und meine Wasserflasche gefüllt hatte, war ich frohen Mutes. Der schwand allerdings langsam, als ich nach 4 km mein Ziel immer noch nicht erreicht hatte. Er verließ mich gänzlich, als ich nach einem weiteren Kilometer in brütender Hitze endlich am angekündigten Café anlangte, wo mich ein Zettel an der Tür empfing, auf dem ich lesen musste:
»Heute geschlossen! Ruhetag!«
Ich befand mich in Baden Württemberg, in der schwäbischen Alb. Die Schwaben, so sagt man, sind ein besonders fleißiges Volk. Aber wann, - verdammt noch mal, - arbeiten die eigentlich? - Und wo? - Und was? - In der Gastronomie bestimmt nicht. Auf jeden Fall nicht dann, wenn ein durstiger Radfahrer aus Bremen ihre Dienste in Anspruch nehmen möchte.
Jetzt interessierte mich auch das Schloss nicht mehr.
Alte Frauen, die auf
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