Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
jugendlich zurechtgemacht sind und Schlösser aus dem 19. Jahrhundert, die wie Ritterburgen aus dem Mittelalter aussehen, sind sowieso nicht mein Ding. Auch dann nicht, wenn sie sich mit einem literarischen Hintergrund schmücken dürfen (der Bau des Schlosses Lichtenstein war durch den Roman »Lichtenstein« von Wilhelm Hauff angeregt worden. Es wurde zwischen 1840 bis 1842 als neugotisches Schlösschen auf mittelalterlichen Fundamenten errichtet.). Besonders dann nicht, wenn mir eine weibliche Lautsprecherstimme anbietet, mich in historische Frauengemächer sprich: Kemenaten, zu begeben. Gegen entsprechendes Entgelt natürlich.
Zu einer Besichtigung mit leerem Magen hatte ich jetzt wirklich keine Lust mehr. Ich begnügte mich mit einem Foto und tröstete mich mit dem Gedanken, wenigstens das Eintrittsgeld gespart zu haben.
Es war noch hell, als ich, immer noch schwitzend, beim AZUR-Rosencamping in Sonnenbühl-Erpfingen ankam.
Hinter dem Tresen am Eingang saß eine etwas mollige, gut gelaunt wirkende Dame mittleren Alters, mit blondiertem, dauergewelltem Lockenkopf, die mir fröhlich ein paar Worte entgegen schleuderte, welche mich momentan völlig verwirrten.
»Der Andere ist schon da«, durfte ich erfahren.
Dabei zeigte sie mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger in Richtung Zeltwiese.
Das gab mir Rätsel auf. Ich konnte mich nicht erinnern mit irgendjemand verabredet zu sein. Oder war mir die Hitze so aufs Gehirn geschlagen, dass ich es vergessen hatte? Grübeln half da nicht. Ich musste der Sache auf den Grund gehen.
Die Zeltwiese hatte gewaltige Ausmaße. Sie wölbte sich, völlig kahl hinter ein paar Wohnwagen dem Horizont entgegen. Ganz am Ende vor einer steilen Anhöhe wurde sie von einem Zaun begrenzt. Da standen Büsche und ein kleines Zelt. Wenn ich mich nicht mitten auf der Wiese wie auf einem Präsentierteller zeigen wollte, musste ich dorthin.
Ich platzierte mein Zelt etwa 12 m, von dem fremden entfernt. Dann ging ich erst einmal duschen und meine Socken waschen. Schließlich waren die warmen Duschen in dem nicht unerheblichen Preis enthalten.
Beim Löffeln meiner Nudelsuppe sah ich meinen Nachbarn herantrotten.
Er ließ den Kopf hängen.
»Guten Appetit.« Er blieb stehen.
»Ich wollte ein Bier trinken. Aber die haben heute Ruhetag. Fernsehen kann man auch nicht.«
Ich nickte.
»Hab` ich mir schon gedacht. Schade!«
»Ja.«
Er ging weiter.
Ich hatte ihn noch nie gesehen.
Der Andere war also nur e i n Anderer gewesen, der hier zelten wollte. Die blondgelockte Dame hatte sich offensichtlich missverständlich ausgedrückt.
Als ich vom Geschirr spülen zurück kam sah ich den Anderen, der jetzt nur ein Anderer war, schon von Weitem bei meinem Zelt stehen.
»Da hinten kann, man ganz wunderbar den Sonnenuntergang beobachten.«
Er deutete auf die Anhöhe hinter dem Zaun.
»Wenn Sie auch Sinn für so etwas haben ...«
Ich hatte Sinn für so etwas.
Wir kletterten über den Zaun, drängten uns durch einige Sträucher den Hang hinauf und standen vor diesem wundervollen Schauspiel der Natur, mit dem sich der Tag zu verabschieden pflegt, ein Schauspiel, an dem man sich einfach nicht sattsehen kann. - Jedenfalls, wenn man Sinn für »so etwas« hat.
Eine Zeit lang beobachteten wir schweigend, wie die Nacht ihren Auftritt vorbereitete. Sie übermalte den weiten, wolkenlosen Himmel, hinter den im Gegenlicht schwarz erscheinenden Hügeln, zuerst mit goldgelb und orange leuchtenden Farben. Danach lasierte sie das ganze mit feurigem Rot und weich verfließendem Violett. Ein sanfter, leise flüsternder Wind ging ihr dabei zur Hand.
»Schön. Wunderschön.«
Der junge Mann neben mir löste sich aus der Verzauberung und wandte sich der menschlichen Seite des Daseins zu. Er begann, zu erzählen. Ein siebenwöchiges Praktikum hätte er hier in der Gegend zu absolvieren. Deshalb würde er einen billigen Campingplatz oder eine kostengünstige Ferienwohnung für diese Zeit suchen. Das hier wäre zu teuer. Wir stellten fest, dass ich fast genau 40 Jahre älter war als er. Woher ich käme, wollte er wissen. Als ich ihm sagte, ich käme aus Bremen trat Bewunderung anstelle der Neugier in sein Gesicht, und nachdem ich erwähnt hatte, dass ich gerade dabei wäre, ein Buch zu veröffentlichen, meinte er: »Dann sind Sie also Reise-Schriftsteller und recherchieren gerade.«
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Ich bin kein Reise-Schriftsteller. Ich will auch kein Buch über diese Fahrt schreiben. Das eine hat
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