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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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behaupten?
     
    Molavi bog in den Pfad ein. Ein junges Paar kam ihm kichernd entgegen. Die Frau zog gerade ihren langen Mantel wieder über ihr Hinterteil. Junge Iraner, die sich kein Hotelzimmer leisten konnten, zogen sich gern in diesen Park zurück, um beisammen zu sein. Aus diesem Grund ging die Polizei hier regelmäßig Streife, aber auf einen einzelnen Mann, der einen Spaziergang machte, würde sie nicht achten. Molavi wandte sich nach Norden und zählte im Gehen die Bänke auf der linken Seite des Weges. Oben auf dem Hügel konnte er ein weiteres verliebtes Pärchen ausmachen, das ihn misstrauisch musterte. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Polizisten in Zivil.
    Als er die vierzehnte Bank erreicht hatte, geriet er für einen Moment in Panik, weil links von ihm keine Baumgruppe zu sehen war. Hatte er sich etwa verzählt? Er ging noch eine Bank weiter und entdeckte dann gleich hinter der Hügelkuppe etwas, das wie ein kleiner Hain aussah. In dieser fast mondlosen Nacht war es schwer zu erkennen. Molavi ging die vorgeschriebenen fünfzig Schritte auf die Bäume zu.
    Als er bei der Baumgruppe war, suchte er nach dem Ahorn mit der Kreidemarkierung. Auch die war im Dunkeln kaum zu erkennen. Er griff schon nach der Taschenlampe, besann sich dann aber eines Besseren und inspizierte stattdessen die Rinde jedes einzelnen Baumes aus nächster Nähe. Als er Schritte vom Weg her hörte, hielt er inne, bis sie wieder verklungenwaren. Sein Herz schlug viel zu schnell, seine Angst gewann die Oberhand. Er hatte sämtliche Bäume untersucht, ohne eine Markierung zu finden.
    Molavi biss sich fest auf die Lippe, um die Angst zu zügeln, dann fing er noch einmal von vorne an, und schließlich entdeckte er an einem Baum im hinteren Teil des kleinen Hains einen gelben Strich, sehr viel weiter unten, als er zunächst vermutet hatte. Er klammerte sich an den Baumstamm wie an ein rettendes Seil und umrundete ihn. Dann ging er in die Hocke und suchte nach einem Stein, der kein Stein war. Er hob erst einen auf, dann einen zweiten, und schließlich berührten seine Finger ein Stück Plastik. Rasch schob er den Fund in die Tasche, und als er sich wieder aufrichtete, überfiel ihn ein heftiges Schwindelgefühl. Jetzt war er tatsächlich ein Spion, ein echter Staatsfeind. Er trug sein Todesurteil in der Tasche.
    Trotzdem zwang er sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und immer weiter zu gehen, bis er wieder auf dem Hauptweg war. Vom Teich her näherten sich weitere jugendliche Liebespärchen, die von einem Polizisten verfolgt wurden. Molavi bemühte sich, seine Angst unter Kontrolle zu bringen und jedes Zittern und Zucken in ein Gefühl von Stärke zu verwandeln. Der Polizist kam direkt auf ihn zu. Er war noch jung, hatte einen stechenden Blick, einen dichten Bart und schien sichtlich Vergnügen daran zu finden, junge Liebende im Wald aufzuscheuchen. Molavi blieb stehen. Seine Handflächen wurden feucht. Der Polizist sprach ihn an. Was sagte er da?
«Movazeh bashin!»
– Vorsicht! Der Park würde bald schließen. Nur noch eine Stunde, der Herr.
    Molavi sah den Polizisten verständnislos an, dann nickteer.
«Haji agha, nochakeram.»
Ich verstehe, Herr Wachtmeister. Vielen Dank. Er drehte sich um und ging in die andere Richtung, zum Ausgang. Wenn dieser Polizist ihn schon ermahnte, dass es langsam spät würde, musste das doch eigentlich bedeuten, dass ihn sonst keiner beobachtete.
     
    Molavi überlegte, von wo aus er den Anruf tätigen sollte. Seine Wohnung war wohl kaum die beste Wahl. Vermutlich hatten sie die bereits vor Monaten verwanzt. Auch sein Büro kam nicht in Frage. Am besten war es wohl genau hier, draußen im Freien. Er ging am Enghelab-Stadion vorbei. Hier waren ein paar Passanten unterwegs, doch auf der anderen Seite, in den Gartenanlagen vor dem Park, war kaum jemand zu sehen. Molavi suchte sich eine Bank etwas abseits, die halb im Dunkeln lag. Dort setzte er sich, zog den Plastikstein aus der Tasche und drehte ihn erst in die eine, dann in die andere Richtung, bis er sich schließlich öffnete. Drinnen lag ein Handy. Molavi drückte die Ziffer 1 auf der Tastatur. Dann hielt er das Gerät ans Ohr und wartete, ob jemand drangehen würde.
     
    Jackie saß gerade beim Essen auf der Dachterrasse ihres Hotels, als ihr Spezial-Handy klingelte. An diesem Abend aß sie allein. Die Kellner waren gerade an einem anderen Tisch beschäftigt. Jackie hielt sich das Telefon ans Ohr und sprach langsam auf Deutsch, einer

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