Der Einsatz
rechtschaffener junger Mann mit buschigem Bart, der sie mit wichtigtuerisch-misstrauischem Blick musterte. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, diese Europäerin hier mit einem Iraner in einem schicken Wagen zu sehen. Der Mann am Steuer fragte ihn, was denn los sei, und als der Polizist erklärte, sie seien nicht angeschnallt, hätte Jackie fast losgeprustet. Doch es war keineswegs als Witz gemeint. Der Polizist ließ sich den Fahrzeugschein zeigen und erklärte dann, es sei einiges nicht in Ordnung und er müsse über Funk seine Vorgesetzten um Rat fragen.
Der Iraner fackelte nicht lange und bat den Polizisten, ihn unter vier Augen sprechen zu dürfen. Dann stieg er aus demWagen und trat mit ihm ein paar Schritte vom Auto weg, wo man sie von der Straße aus nur halb sehen konnte. Er sprach respektvoll und unterwürfig auf den Polizisten ein und sagte dann offenbar etwas, worüber der Mann lachen musste. Dann gaben sie einander die Hand, und Jackie war sich sicher, dass dabei eine kleinere Bestechungssumme den Besitzer wechselte.
«Was hast du ihm denn bloß erzählt?», fragte sie ihren Begleiter.
«Dass du eine deutsche Nutte bist und ich nur ein paar Stunden Zeit mit dir habe. Ich habe an sein Mitleid appelliert. Und dann habe ich ihm noch erzählt, ich hätte den Wagen gemietet, um dich zu beeindrucken.»
«Und das hat er dir geglaubt?»
«Natürlich», erwiderte der Iraner. «Ich habe ihm ja nur bestätigt, was er ohnehin schon dachte. Und ich habe den männlichen Stolz ins Spiel gebracht. Wenn er mich jetzt festgehalten hätte, hätte ich ja das Gesicht verloren – von der erotischen Befriedigung mal ganz abgesehen. Und kein Iraner wird einen Landsmann jemals so demütigen.»
Jackie schüttelte nur den Kopf.
«Blödsinn», sagte sie. «Du hast einfach nur Glück gehabt. Lass dich bloß nicht nochmal anhalten.»
27 Sari/Iran
Auf wackligen Beinen ging Karim Molavi die Stufen vor dem weißen Gebäude in Jamaran hinunter und stieg in das erste Taxi, das er auf der anderen Straßenseiteerwischte. Er gab sich Mühe, schwach und krank auszusehen, doch innerlich war er geradezu euphorisch. Seine Flucht hatte begonnen. Er wies den Fahrer an, ihn in die Yazdeni-Straße in Jusef Abad zu fahren. Eigentlich hatte er ja die Anweisung bekommen, von der Arbeit direkt zum Busbahnhof zu fahren, doch das erschien ihm unklug. Wenn er nächste Woche immer noch nicht zur Arbeit kam, würden sie den Taxifahrer vielleicht fragen, wo er ihn hingebracht hatte. Da mussten die einzelnen Teile der Geschichte doch zueinanderpassen.
Zurück in seiner Wohnung, zog er den schwarzen Geschäftsanzug aus, streifte eine Freizeithose, einen wärmeren Pullover und ein Sakko über und setzte schließlich noch eine Kappe auf, die sein Gesicht teilweise verdeckte. Die Lederslipper tauschte er gegen ein Paar Turnschuhe, für den Fall, dass größere Strecken zu Fuß zurückzulegen waren. Wie floh man eigentlich aus dem Iran? Über die Berge? Durch die Wüste? Er hatte keine Ahnung. Sein Gepäck stockte er um eine weitere Unterhose und zwei Paar frische Socken auf und verstaute alles in einer schlichten Umhängetasche aus Leinen. Die Aktentasche ließ er zurück. Er schaute in seine Brieftasche, um sicherzugehen, dass er auch alle Papiere bei sich hatte. Das spezielle Handy steckte in seiner Jackentasche. Er wagte kaum, es auch nur zu berühren. Er hätte einiges darum gegeben, seinen Pass zu haben, doch den hatten sie ihm ja bereits genommen. Da würden seine Retter wohl improvisieren müssen. Molavi ging zur Tür, blieb dann aber noch einmal stehen.
Was konnte er sonst noch tun, um es aussehen zu lassen, als wollte er wiederkommen? Er stellte ein Fertiggericht indie Mikrowelle, schaltete den Fernseher im Schlafzimmer ein und drehte ihn so leise, dass er die Nachbarn nicht stören würde. Was noch? Er schrieb eine kleine Erledigungsliste – Wäsche abholen, Zahnarzttermin vereinbaren, neuen Duschvorhang kaufen – und legte sie auf den Schreibtisch. Kein Mensch, der vorhatte, das Land zu verlassen, würde noch an einen neuen Duschvorhang denken.
Dann verließ Molavi sein Wohnhaus durch die Hintertür und nahm den Durchgang zur nächsten Straße, die nach Norden führte. Sonst fuhr er eigentlich immer in die andere Richtung. Er ging ein paar Straßen bis zum Farhang-Platz und wartete dort auf ein Taxi. Als sich ein klappriger, orangefarbener Paykan näherte, der normalerweise als Sammeltaxi fungierte, rief Molavi ihm sein Ziel zu: den
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