Der Einsatz
Sprache, von der sie wusste, dass Karim Molavi sie verstehen würde.
«Wir sind hier, um Sie zu einem Urlaub abzuholen», sagtesie. «Hören Sie mir genau zu und machen Sie alles so, wie ich es Ihnen sage.»
«Ja», erwiderte Molavi. Die Hand, mit der er das Mobiltelefon hielt, zitterte.
«Gehen Sie morgen Nachmittag etwas früher als sonst aus dem Büro nach Hause. Ihren Kollegen sagen Sie, Sie seien krank. Dann gehen Sie zum Busbahnhof im Osten der Stadt. Sie müssen vorsichtig sein auf dem Weg dorthin, verstanden? Fahren Sie mit dem Bus nach Sari an der kaspischen Küste. Die Fahrt wird ungefähr fünf Stunden dauern. Sie dürfen aber niemandem sagen, wohin Sie wollen.»
«Ja, in Ordnung», sagte Molavi. Er war erstaunt darüber, dass diese Anweisungen von einer Frau kamen, die zudem auch noch Deutsch sprach. Aber genau das war ja das Rätselhafte an diesen Amerikanern. Sie schienen jede mögliche Gestalt annehmen zu können.
«Wenn Sie in Sari sind, nehmen Sie sich ein Zimmer im Hotel Asram am Golha-Platz. Am nächsten Morgen frühstücken Sie unten im Restaurant. Dort wird Sie ein Araber ansprechen und Sie fragen, ob Sie Doktor Ali sind. Er weiß, wie Sie aussehen. Wenn Sie ihn nach seinem Namen fragen, wird er Ihnen antworten, er heiße Mr. Saleh. Folgen Sie ihm, wenn er das Restaurant verlässt. Haben Sie das alles verstanden?»
«Ja», sagte Molavi.
«Wiederholen Sie es, damit ich weiß, dass Sie richtig verstanden haben.»
«Bus nach Sari. Hotel Asram. Und Mr. Saleh.»
«Bald sind Sie in Sicherheit, mein Freund.»
Karim Molavi wollte sie noch fragen, wohin es von dort aus gehen würde, doch die Verbindung war bereits wiederunterbrochen. Rasch steckte er das Handy in die Tasche zurück. Den Plastikstein warf er in den Teich am Rand des Parks, wo er einen Moment lang auf der Oberfläche trieb und dann glücklicherweise versank. Als Karim sich wieder den Lichtern der Valiasr-Straße näherte, fühlte er sich, als könne er fliegen.
Am nächsten Morgen betrat Molavi das namenlose weiße Gebäude in Jamaran, wo er arbeitete. Wie immer hielt er seine schwarze Lederaktentasche in der Hand, doch heute hatte er noch zwei Unterhosen zum Wechseln, eine Zahnbürste und sein Deo eingepackt. Als er durch die Tür trat und die erste der zahlreichen Überwachungskameras passierte, nickte er der Empfangsdame und dem Sicherheitsbeamten zu. Womöglich war es ja das letzte Mal, dass er sie sah.
Er ging langsam, mit schleppenden Schritten, wie jemand, der eine schwere Erkältung ausbrütet. Auf dem Weg durch die Eingangshalle hustete er nachdrücklich – ein durchdringendes Geräusch, das fast wie ein Niesen klang.
«Afiyat bashe»
, sagte die Empfangsdame. Gesundheit! Dann erkundigte sie sich, ob alles in Ordnung sei.
«Zaif»
, antwortete Molavi.
«Larz daram.»
Ich fühle mich ein bisschen schwach und zittrig.
Die Empfangsdame musterte ihn mitleidig. «Armer Junge», sagte sie. Für die älteren Kollegen hier war er nach wie vor ein Junge – der brillante junge Physiker mit dem dichten schwarzen Haar, der immer so zurückhaltend wirkte.
Molavi blieb kurz vor der Tür von Doktor Bazargan stehen und hustete beim Eintreten erneut. Er bat den Direktor umEntschuldigung, dass er ihm nicht die Hand geben würde, aber er wolle ihn auf keinen Fall anstecken. Der Direktor nickte verständnisvoll. Er gab sich immer schwer beschäftigt, hatte eigentlich aber nur sehr wenig zu tun. Im Grunde war er mehr ein Verwalter als ein echter Vorgesetzter. Er fragte Molavi, wie es mit seinen Forschungen vorangehe, und der junge Mann antwortete, es gehe bestens. In Wahrheit, das wusste auch der Direktor ganz genau, verbrachte er in letzter Zeit den Großteil seiner Arbeitszeit mit der Lektüre von Fachzeitschriften. Seit einem Monat hatte man ihn mit keiner neuen Aufgabe mehr betraut. Molavi hustete erneut, und der Direktor riet ihm, doch lieber wieder nach Hause zu gehen, wenn er sich nicht wohl fühle.
Molavi erwiderte, er werde vielleicht etwas früher gehen als sonst.
«Sarma khordam»
, fügte er hinzu und schüttelte dabei den Kopf über die Ungerechtigkeit der Welt und sein eigenes Pech. Ich habe mir wohl eine Grippe eingefangen.
Dann verbrachte er eine gute Stunde an seinem Schreibtisch und las. Erst die Zeitung, dann die amerikanischen Fachmagazine. Zwischendurch hustete er hin und wieder, um den Schein zu wahren. Er blätterte die Seiten um, überschlug die grellbunten Anzeigen und informierte sich über die
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