Der Einsatz
modern und hässlich – zwei Adjektive, die im Iran nicht selten Hand in Hand gingen. Die Betonfassade wurde von roten und grünen Lichtern angestrahlt, was sie nur noch unansehnlicher erscheinen ließ. Der Empfangschef wies ihm ein Zimmer im obersten Stockwerk zu, mit eigenem Bad und Blick auf die Altstadt mit ihrem weißen Turm, doch Molavi war noch nicht müde und fühlte sich unwohl in diesem Hotel. Er suchte sich ein Café in der Nähe der Altstadt, gleich neben einem anmutigen Brunnen, und bestellte ein Glas frischgepressten Granatapfelsaft, der süß und säuerlich zugleich schmeckte. Dann ging er ins Hotel zurück, wusch Unterhose und Socken im Waschbecken aus und hängte sie zum Trocknen ans offene Fenster. Seine Sachen zu waschen war wie eine Art Glaubensbekenntnis, dass er überleben würde. Er legte sich nackt ins Bett und spürte den kratzigen Stoff der billigen Baumwolllaken an Armen und Beinen.
Jackie und ihr iranischer Kumpan nahmen die Schnellstraße, die von Teheran nach Norden und bis nach Chalus an der kaspischen Küste führte. Sie ließen Karaj hinter sich und folgten dann der spektakulären Strecke über die Berge bis hin zum Meer. In Chalus hielten sie vor dem Hotel Malek und aßen in dessen elegantem Restaurant zu Abend. Es ging dort sehr viel entspannter zu als in Teheran, und Jackie tates den einheimischen Frauen an den Nebentischen gleich und streifte ihr Kopftuch ab. Auf der Damentoilette machte ihr eine Iranerin in fließendem Englisch ein Kompliment für ihre Handtasche und erkundigte sich, wo Jackie sie gekauft habe. Wie sich herausstellte, besaß die Fremde selbst eine Wohnung in Paris.
Die beiden Reisenden fielen durchaus auf, und rund ein Dutzend Menschen hätten bezeugen können, wer und was sie waren: ein vermögender Iraner, der mit seiner Geliebten auf der Küstenstraße unterwegs nach Osten war.
Als sie nach dem Abendessen zum Wagen zurückkehrten, wartete in der Dunkelheit ein weiterer Passagier auf sie. Er war Pakistani und mit schwarzem Anzug und Krawatte sehr korrekt gekleidet. Dem Erscheinungsbild nach mochte er ein persönlicher Angestellter des Iraners sein, ein Diener vielleicht oder ein Büroverwalter. Er hatte eine längliche Reisetasche bei sich, wie man sie häufig bei Tennisspielern sieht, und verstaute sie im Kofferraum des Mercedes.
Die drei folgten der Küstenstraße weiter nach Osten und verbrachten die Nacht in Babol, westlich von Sari. Der Iraner und seine deutsche Begleiterin nahmen sich zwei benachbarte Zimmer im Hotel Marjan, der Pakistani fuhr noch ein paar Kilometer weiter nach Osten.
Am nächsten Morgen erhob sich Molavi mit dem Ruf des Muezzins zum Morgengebet. Er trat ans Fenster und schaute auf die Stadt hinaus, die bei Tageslicht sehr viel hässlicher wirkte als in der Nacht. Der frühmorgendliche Bus- und Autoverkehr hatte bereits eingesetzt, und die Fahrzeuge rumpeltenlärmend über den Golha-Platz zur Flussbrücke hin. Dort draußen sind sie, sagte sich Molavi. Es schien unvorstellbar, dass sie ihn tatsächlich hierher in diese willkürlich ausgewählte Provinzstadt bestellt haben und ihn holen würden, und doch hing sein Leben von dieser surrealen Verabredung ab. Er duschte, zog sich an und packte seine wenigen Habseligkeiten wieder in die Tasche, dann setzte er sich noch ein paar Minuten aufs Bett, um wieder zu sich zu kommen. Er fühlte sich, als stünde er am Rand des Vulkans. Schließlich erhob er sich und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten, um im Speisesaal des Hotels zu frühstücken.
Er hatte Hunger und belud seinen Teller am Buffet mit Aufschnitt, Käse und einem hartgekochten Ei. Doch als er sich an einen Tisch gesetzt hatte, verließ ihn sein Appetit. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach dem arabischen Geschäftsmann, diesem «Mr. Saleh». Es gab ein paar Männer, die dafür in Frage kamen, doch alle waren mit ihrem Frühstück beschäftigt. Keiner von ihnen nahm Blickkontakt mit ihm auf. Dann erhob sich ein muskulöser Mann im zweireihigen Anzug von seinem Tisch, und einen Augenblick lang glaubte Molavi, dies müsse sein Retter sein. Doch der Mann ging an ihm vorbei und verließ mit raschen Schritten den Raum. Wenige Minuten später folgte ihm ein zweiter Herr. Molavi hatte inzwischen fertig gefrühstückt und trank seine zweite Tasse Kaffee. Vielleicht war ja etwas schiefgelaufen, und sie würden doch nicht kommen. Was sollte er dann tun? Das gehörte zu den Dingen, über die er nicht
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