Der Einsatz
östlichen Busbahnhof. Der Fahrer erwiderte:
«Dar baste?»
– Mit geschlossener Tür? –, womit er ihm anbot, nur ihn allein zu befördern, wenn er entsprechend zahlte. Molavi nickte. Je weniger Leute ihn auf dieser Reise sahen, desto besser.
Er setzte sich neben den Fahrer auf den Beifahrersitz. Vorne auf dem Armaturenbrett lag ein Koran, und am Rückspiegel baumelte ein blaues Amulett, das vor dem Bösen Blick schützen sollte. Der Fahrer war glücklicherweise nicht in redseliger Stimmung. Mit qualmendem Auspuff rollte der Paykan gen Osten. Auf den Straßen staute sich der Nachmittagsverkehr, und der Smog war so dicht, dass Molavi ihn in der Kehle spürte und nun tatsächlich husten musste. Als sie auf der Damavand-Schnellstraße waren, lichtete sich der Verkehr ein wenig, und auch die Luft schien wieder frischer. Molavi warf einen Blick auf die Uhr. Fast vier. Er hatte keine Vorstellung, wie oft Busse nach Sari fuhren, wünschte sichaber nichts sehnlicher, als möglichst bald einen zu erwischen und sich in seinem Sitz verkriechen zu können.
Der östliche Busbahnhof befand sich am äußersten Stadtrand. Molavi kam kurz nach vier dort an und erstand eine Fahrkarte für den Bus, der um halb fünf abfahren sollte. Die Polizei war natürlich auch hier präsent, doch niemand achtete auf ihn. Molavi fühlte sich merkwürdig unsichtbar: Die Leute sahen ihn zwar, hatten aber keine Ahnung, wer er war. Er kaufte sich eine Zeitschrift und ein belegtes Brot für die Fahrt, dazu noch eine Flasche Mineralwasser, und wartete, bis er einsteigen konnte. Anders als die Busse in der Stadt war dieser hier nicht nach Frauen und Männern getrennt, aber trotzdem setzten sich die Frauen zu anderen Frauen und die Männer zu anderen Männern. Molavi suchte sich einen freien Platz ganz hinten im Bus und hoffte inständig, dass sich niemand neben ihn setzen würde.
Schließlich machte er es sich auf seinem Sitz bequem. Der Bus war ein neueres Modell von Volvo, ein «Super», wie man im Iran dazu sagte, und die Sitze waren sehr komfortabel. Mit lautem Hupen verließ der Bus den Bahnhof. Niemand erhob Anspruch auf den freien Platz neben Molavi. Dieser biss nun endlich in sein belegtes Brot. Zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden ließ seine Anspannung ein wenig nach.
Die Fahrt war so schmerzlich schön, dass Molavi sich kurz fragte, ob er überhaupt bereit war, den Iran zu verlassen. Auf den ersten paar Kilometern Richtung Osten war die Straße von üppig grünen, waldigen Parklandschaften gesäumt.Wenig später fuhren sie auf die A01, die Hauptverbindungsstraße zum Nordosten des Landes, und der Bus erklomm die steilen Hänge des Elburs-Gebirges. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und tauchte den majestätischen Damavand in ihren goldenen Widerschein. Einige Stunden lang schlängelten sie sich durch das Gebirge. Bleiches Mondlicht fiel auf die verschneiten Gipfel und ließ die Landschaft ringsum wie einen Schattenriss erscheinen. Molavi aß sein Brot und trank gelegentlich einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Irgendwann nickte er für eine Stunde ein, und als er wieder aufwachte, war der Bus bereits wieder auf dem Weg bergab und näherte sich den Handelsstädten am Kaspischen Meer. Er hielt zunächst in Amol, dann in Babol, und eine halbe Stunde später fuhr er in die altehrwürdige Stadt Sari ein.
Molavi warf einen Blick aus dem Fenster. Die Stadt kam ihm bekannt vor. Kurz bevor seine Mutter krank geworden war und nicht mehr hatte reisen können, war er einmal mit seinen Eltern hier gewesen. Der Bus durchquerte die Altstadt, deren weißer Uhrenturm von Flutlichtern angestrahlt wurde. Erinnerte er sich wirklich an den Ort, oder war es nur die Vorstellung davon, an die er sich erinnerte? Der Bus hielt am zentralen Busbahnhof, nahe dem Fluss Tajan. Neben ihm stiegen noch ein paar andere Fahrgäste aus, müde und benommen von der langen Fahrt.
So spät am Abend war der Busbahnhof fast menschenleer. Er wirkte so gottverlassen wie jeder Busbahnhof in einer x-beliebigen Kleinstadt: ein Ort, von dem die Menschen in größere Städte aufbrachen – kein Ort, an den sie zurückkehrten. Molavi fragte den Stationsvorsteher, wie er am besten zum Hotel Asram am Golha-Platz käme, und erhielt dieAuskunft, dass es sich nur wenige hundert Meter südlich des Busbahnhofs befinde und problemlos zu Fuß zu erreichen sei. Molavi ging am Flussufer entlang und dachte bei sich: Ich will hier nicht sterben. Ich will leben.
Das Hotel war
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