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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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nachgedacht hatte. Für ihn gab es nur zwei Optionen: Flucht oder Tod, nicht die Variante, in einer abgelegenen Provinzstadt im Frühstücksraum eines Hotels zu sitzen undanschließend einfach seine Sachen zu packen und nach Hause zurückzukehren.
    Während Molavi noch trübsinnig aus dem Fenster schaute und sich den buschigen schwarzen Bart strich, kam der erste Mann wieder in den Frühstücksraum zurück. Doch statt an seinen ursprünglichen Tisch zurückzukehren, trat er auf Molavi zu. Es war kaum noch jemand im Speisesaal. Wenige Schritte vor Molavis Tisch blieb der Mann stehen.
    «Sind Sie Doktor Ali?», fragte er leise. Er machte einen gelassenen, sympathischen Eindruck.
    «Ja, der bin ich!» Molavi hatte das Gefühl, als zuckte ihm ein Stromschlag durch den ganzen Körper. Einen Moment lang war sein Kopf völlig leer, dann fiel ihm wieder ein, dass ja eine Antwort von ihm erwartet wurde.
    «Und wie heißen Sie?», fragte er mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. Er gab sich redlich Mühe, sich nicht umzuschauen, um sicherzugehen, dass sie auch niemand beobachtete, doch es gelang ihm kaum.
    «Ich bin Mr.   Saleh», sagte der Araber und streckte ihm lächelnd die Hand hin, als wären sie alte Bekannte oder Geschäftspartner. «Machen wir doch einen kleinen Spaziergang und schauen uns die Stadt an.»
    «Ja», sagte Molavi. «Das ist eine gute Idee.»
     
    Die beiden Männer spazierten die Taleghani-Straße entlang und steuerten auf die Schnellstraße zu, die zu der gut fünfundzwanzig Kilometer entfernten Küste führte. Karim Molavi wollte von dem angeblichen Mr.   Saleh wissen, wer er wirklich sei, doch der andere fiel ihm ins Wort.
    «Wir sollten jetzt nicht zu viel reden, mein Freund. Bald sind Sie in Sicherheit. Das muss genügen. Reden werden wir später.»
    Molavi nickte, und sie gingen schweigend weiter. Ringsum erwachte die Stadt zum Leben. Auf dem Basar in der Altstadt fanden sich die Händler ein. Die Männer betraten das örtliche
Hammam
für ihr morgendliches Schwitzbad.
    Als sie am Shohada-Platz ankamen, bog Mr.   Saleh nach rechts in eine Seitenstraße ein, in der mehrere Reihen geparkter Autos standen. Saleh ging ein paar Meter und blieb dann vor einem nagelneuen Samand mit automatischen Fensterhebern und Klimaanlage stehen. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, ließ die Türen aufschnappen und bedeutete Molavi, sich ans Steuer zu setzen. Molavi blieb regungslos stehen. Er wusste nicht recht, was er tun sollte.
    «Sie haben doch einen iranischen Führerschein, oder?», fragte ihn Mr.   Saleh.
    Molavi nickte.
    «Dann fahren Sie, mein Freund.» Mr.   Saleh drückte ihm den Autoschlüssel in die Hand.
    Molavi schüttelte fassungslos den Kopf.
«Kheyli zahmat keshidin»
, sagte er leise. Was für einen Aufwand Sie treiben. Erst fuhr er nur langsam, doch als sie die Stadt hinter sich ließen, wurde er zuversichtlich und erhöhte die Geschwindigkeit. Sie fuhren nach Norden, vorbei an Reisfeldern und Orangenhainen.
    «Wie haben Sie das nur alles fertiggebracht?», fragte er Mr.   Saleh, als keine anderen Autos mehr auf der Straße zu sehen waren und man keinen anderen Laut mehr hörte als das Summen der Reifen auf dem Asphalt.
    «Durch Zauberei, mein Freund.» Der Araber zwinkerte ihm zu. «Das ist unsere Spezialität. Wir schaffen Illusionen. Und in einer solchen befinden Sie sich gerade. Entspannen Sie sich, Bruder. Genießen Sie Ihre Freiheit.»
     
    Es dauerte fast eine Stunde, bis Molavi und sein arabischer Schutzengel das Meer erreicht hatten. Auf der Küstenstraße drängten sich die Wagen der Teheraner, die hergekommen waren, um das letzte bisschen Herbstsonne auszukosten. Die Ferienwohnungen und -häuser zu beiden Seiten der Straße waren allesamt ausgebucht, und am Strand war kaum noch ein freier Fleck zu finden.
    Sie fuhren weiter nach Osten, durchquerten Farahabad und Gohar Baran. Nirgends waren Polizisten zu sehen, und nach den vorbeirasenden Autos zu urteilen, gab es hier auch keine Geschwindigkeitskontrollen. Je näher sie der turkmenischen Grenze im Osten kamen, desto spärlicher wurden die Urlaubsunterkünfte. Mr.   Saleh blickte aufmerksam aus dem Fenster. Er schien nach etwas Ausschau zu halten.
    «Biegen Sie hier links ab», sagte er zu Molavi und deutete auf eine schmale asphaltierte Straße. An der Abzweigung hing ein kleiner Wimpel mit den Farben des FC Esteghlal.
    Molavi fuhr langsam die Straße entlang. Rechts von sich sah er ein Gebäude, ein

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