Der Einsatz
junge Wissenschaftler griff nach seiner Aktentasche,aber der Geheimdienstmann sagte ihm, dass er sie nicht brauchen werde. Er solle lediglich seinen Pass mitnehmen. Dann eskortierten ihn die beiden hinaus auf den Gang, wo sie ihm mit ein paar Schritten Abstand folgten. Als sie in den Hauptkorridor kamen, erschienen an mehreren Türen neugierige Gesichter, die sehen wollten, wen der Geheimdienst diesmal geholt hatte. Das war so eine morbide Angewohnheit in Jamaran. Niemand sprach offen darüber, dass man auf Schritt und Tritt überwacht wurde, aber etwa jedes halbe Jahr verschwand einer von ihnen. Normalerweise tauchte er später an anderer Stelle in der wissenschaftlichen Gemeinde wieder auf – deutlich abgemagert und auffallend schweigsam und vorsichtig. Keiner erzählte je, was ihm in der Zwischenzeit widerfahren war. Das war der Preis dafür, dass man an sensiblen Projekten mitarbeiten durfte: Man wusste nie, wann sich der Boden plötzlich unter einem auftun und wie tief dann der Fall sein würde.
Der junge Wissenschaftler hörte seine eigenen Schritte von den Wänden des Korridors widerhallen. Auf dem Weg kam er an mehreren seiner Freunde vorbei. Einer zwinkerte ihm zu und winkte verstohlen, doch die anderen schauten weg.
Die beiden Geheimdienstler führten den jungen Wissenschaftler zu einem neuen schwarzen Samand, in dem bereits ein Fahrer wartete, und sagten dem jungen Mann, er solle sich auf die Rückbank setzen. Sie fragten ihn, ob sie die Klimaanlage einschalten sollten, und als er ja sagte, drehten sie sie voll auf. Vorne war ein Funkgerät für den Polizeifunk,und der Fahrer trug ein Schulterholster, aus dem der Griff einer dicken Pistole hervorschaute. Am Armaturenbrett befand sich auch ein Schalter für Blaulicht und Sirene, von dem die beiden Männer jedoch keinen Gebrauch machten. Der Wissenschaftler wartete darauf, dass sie ihm die Augen verbanden; schließlich erzählte man sich überall, dass der Geheimdienst den Menschen, die er zu einem Verhör abholt, die Augen verbindet. Doch bei ihm war das anscheinend nicht so.
Draußen war Hochsommer. Wer Geld hatte, war in seiner Villa am Kaspischen Meer, und wer richtig viel Geld hatte, reiste nach Cap d’Antibes oder an die Costa del Sol. In der Stadt roch es nach den reifen Melonen, die an Ständen überall am Straßenrand verkauft wurden, und nach Fleisch, das in den Parks über Holzkohle gegrillt wurde, überall hörte man das Singen von Vögeln und das Hupen von Autos, und die Menschen gaben sich bei dieser Hitze längst nicht mehr so viel Mühe, fromm und gottesfürchtig auszusehen.
Als sie am Sicherheitsministerium vorbeifuhren, fluchte der Agent auf dem Beifahrersitz leise vor sich hin:
«Goosh be reeshet»
– Furz in deinen Bart. Der junge Wissenschaftler musste trotz seiner misslichen Lage lachen. Es war allgemein bekannt, dass die Revolutionsgarden die Geheimpolizei nicht mochten, und Witze, die die Rivalität zwischen den beiden mit der der Fußballvereine Persepolis und Esteghlal verglichen, waren in aller Munde.
Dann breitete sich Stille im Inneren des Wagens aus. Man kam sich vor wie in einer Seifenblase, die neben anderen Seifenblasen dahinschwebt. Der junge Mann wartete darauf, dass seine Angst zurückkehrte, aber es geschah nicht. Stattdessenverspürte er ein seltsames Gefühl von Macht. Er saß am längeren Hebel. Sie konnten nur raten, aber er wusste Bescheid.
Jetzt, am späten Vormittag, war nicht viel Verkehr auf den Straßen. Keiner der Männer sagte etwas, weder der Fahrer noch der Beifahrer, der offenbar der Vorgesetzte der beiden anderen war, noch der untersetzte Untergebene, der neben dem jungen Wissenschaftler auf der Rückbank hockte und vermutlich ebenfalls eine Waffe unter seiner schlechtsitzenden grünen Anzugjacke trug.
Während der Fahrt versuchte der junge Mann, sich auf das Teheraner Alltagsleben zu konzentrieren, das draußen vor den Fenstern vorbeizog. Er sah einen Jugendlichen, der auf dem Gehsteig mit seinem Handy telefonierte, er sah Mädchen, die an einer roten Ampel auf dem Rücksitz des Wagens neben ihnen ausgelassen vor sich hin kicherten und vermutlich auf dem Weg zum Nagelstudio oder zur Wachsbehandlung waren. Er sah den hohen, hässlichen Fernsehturm im Nasr-Park, von dem alle Welt glaubte, dass er in Wirklichkeit eine riesige Abhörstation der Geheimpolizei sein müsste, er sah eine Gruppe lärmender junger Männer vor dem Laden am Sadegiyeh-Platz, in dem man sich illegal kopierte DVDs
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