Der Einsatz
Frage, die ihr in letzter Zeit häufig durch den Kopf ging, die sie sich aber nur zu stellen traute, weil sie etwas getrunken hatte. Sie wollte wissen, warum er damals eigentlich zur CIA gegangen war. Als sie sich in Worcester kennengelernt hatten, war es ihm als Offizier bei der Armee doch sehr gut gegangen. Warum hatte er den ruhigen Posten gegen das komplizierte Leben eingetauscht, das er seither führte?
«Weil mein Vater es so wollte», antwortete Harry und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. «Er mochte die CIA sehr.»
«Aber warum?», hakte Andrea nach. «Was hat sie denn für ihn getan?»
«Das war eine Frage der Ehre», sagte Harry. «Er glaubte, wir wären der CIA etwas schuldig. Mein Vater war nun mal mit Leib und Seele Grieche, und wenn er jemanden oder etwas ins Herz schloss, dann war das fürs ganze Leben. Vor meiner Geburt, Ende der Vierziger, gab es in Griechenland einen Bürgerkrieg, von dem die wenigsten Leute heute noch etwas wissen. Mein Vater hat damals gegen die Kommunisten gekämpft, und die Amerikaner haben ihn dabei unterstützt. Damals gab es noch keine CIA, aber die amerikanischen Spione in Griechenland gehörten zu ihrer Vorläuferorganisation. Sie haben den Griechen Waffen und Geld gegeben, und als mein Vater verwundet wurde, ist er mit ihrer Hilfe nach Amerika gekommen, was ihm vermutlich das Leben gerettet hat. Diese Geschichte hat er mir oft erzählt.»
«Und deshalb wollte er, dass du etwas für die Amerikaner tust.»
«Genau. Zuerst bin ich zum Militär gegangen, und alsmich dort ein Anwerber von der CIA angesprochen hat, habe ich meinen Vater um Rat gefragt. Eigentlich hätte ich das gar nicht gedurft, aber ich musste es tun. Schließlich waren wir Griechen. Da haben Väter und Söhne keine Geheimnisse voreinander. Ich habe meinen Vater nie so glücklich gesehen wie damals. Er hat mich geküsst, und die Tränen sind ihm über die Wangen gelaufen.»
«Und genau dasselbe hast du später mit deinem eigenen Sohn gemacht», sagte Andrea.
Es klang weder bitter noch wütend, nur wie eine einfache Feststellung. Und es war die Wahrheit.
6 Teheran
Als sie ihn abholten, saß der junge Iraner gerade in seinem Büro in Jamaran und las einen alten Artikel im
American Journal of Physics
. Weil er beim Lesen Musik über seinen iPod hörte, bemerkte er ihr Klopfen nicht, und als sie die Tür aufstießen, sprang er erschrocken auf und riss sich die Kopfhörer aus den Ohren. Zwei kräftig gebaute Männer in tannengrünen Anzügen standen direkt vor ihm, begleitet von Doktor Bazargan, dem Laborleiter, dem es sichtlich schwerfiel, seine Fassung zu bewahren.
«
Sobh bekheyr
– Guten Morgen», begrüßte einer der Männer den jungen Wissenschaftler und zeigte ihm einen Dienstausweis, der ihn als Offizier des Ettelaat-e Sepah, des Geheimdiensts der Revolutionsgarden, auswies. Der Dienst war für die Überwachung des Atomprogramms zuständig.
«Salamat baush»
, fuhr der Offizier fort. Ich wünsche Ihnengute Gesundheit. Selbst in dieser Situation hielt er noch an den muslimischen Begrüßungsritualen fest.
«Alhamdollah»
, erwiderte der junge Mann. Gott sei es gedankt. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat, und wäre am liebsten weggelaufen. Beruhige dich, sagte er sich. Sie hatten ihn schon öfter auf diese Weise überrascht. Das hatte nichts zu bedeuten.
«Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen, Herr Doktor.»
«Aber natürlich. Bitte setzen Sie sich.» Er fühlte sich nackt und verletzlich und wünschte sich plötzlich, er hätte einen Bart, hinter dem er sich verstecken konnte.
«Ich fürchte, wir müssen Sie woanders hinbringen. Das haben wir Doktor Bazargan bereits erklärt.» Er blickte zum Direktor hinüber, der verängstigt draußen auf dem Gang stand.
«Aber ich bin doch mitten in der Arbeit», sagte der junge Wissenschaftler. «Und meine Arbeit ist enorm wichtig.» Das war der einzige Trumpf, den er besaß.
«Natürlich, Herr Doktor. Gott sei es gedankt.»
Der Offizier erwähnte mit keinem Wort, dass das Verhör reine Routine sei und der junge Mann bald wieder seiner Arbeit nachgehen könne. Der Wissenschaftler zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Der Stoff des Taschentuchs fühlte sich kühl an, und das Schwitzen hörte ebenso plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Vielleicht war ja alles doch nur halb so schlimm. Sie konnten nichts wissen. Dafür war er viel zu vorsichtig gewesen.
Der
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