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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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berief Harry ein Treffen der Arbeitsgruppe Doktor Ali ein, zu der Fox einen Vertreter schickte. Er war bereits mit anderen Dingen beschäftigt.
    «Unser Mann hat Angst», begann Harry. «Ich glaube, erwill den Iran verlassen.» Alle am Tisch stöhnten auf und schüttelten den Kopf. Sie wussten, dass der Iraner ihnen nur dann von Nutzen sein konnte, wenn er vor Ort blieb. Und jetzt bat er in einer verschlüsselten Nachricht darum, außer Landes gebracht zu werden? Das wollte niemand hören, vor allem nicht jetzt, wo ihnen die Zeit davonlief und selbst der Präsident schon von «unserem Mann in Teheran» sprach.
    «Was werden Sie jetzt tun?», fragte Fox’ Stellvertreter. Er befürchtete wohl, Harry könnte durch eine voreilige Aktion den politischen Zug zum Entgleisen bringen.
    «Nichts», sagte Harry. «Ich werde ihm antworten, dass wir seine Nachricht erhalten haben und dass wir uns bald bei ihm melden werden.»
    Die Leute am Tisch waren erleichtert. In der heutigen CIA war das Nichtstun eine äußerst beliebte Vorgehensweise, denn wenn man nichts tat, konnte man auch niemanden verärgern. Niemand würde einem unangenehme Fragen stellen und darauf auch noch eine Antwort erwarten. Doch Harry meinte seine Antwort ein wenig anders. Er würde nichts über die offiziellen CI A-Kanäle unternehmen. Er befand sich bereits in anderen Sphären. Das hatte Adrian erreicht. Er hatte Harry in eine andere Abteilung hineingezogen.
     
    Harry versuchte, das Foto zu entschlüsseln. Es musste ein versteckter Hinweis sein – aber worauf? Er schickte eine Kopie des Bildes an die iranisch-amerikanische Analystin, die vor Wochen die Fragmente aus dem Gedicht von Firdausi erkannt hatte, und fragte, ob es ihr vielleicht möglich wäre, die Frau anhand ihrer Datenbanken zu identifizieren. Oderkonnte sie andernfalls herausfinden, wann und wo dieses Foto aufgenommen worden war?
    Die Analystin war von Anfang an skeptisch und meinte, das Foto sei ihr zu perfekt. Außerdem hatte sie das Gefühl, es schon einmal irgendwo gesehen zu haben, und vierundzwanzig Stunden später präsentierte sie Harry tatsächlich ein identisches Bild, das eine iranische Schauspielerin mit ihrer Tochter zeigte. Es war ein Still aus einem neuen iranischen Film, das vor ein paar Monaten in der Zeitung
Kayhan
veröffentlicht worden war. Weitere Recherchen ergaben, dass die Schauspielerin mit einem iranischen Filmregisseur verheiratet war und deshalb nicht die Frau von Doktor Ali sein konnte. Warum aber hatte der ihnen ein falsches Bild geschickt, so schön es auch sein mochte?
    Harry bat die Analystin um Informationen über den Regisseur, und sie schickte ihm eine Liste der Filme, die er bereits gedreht hatte. Der bekannteste davon hieß
Paper Airplanes
und handelte hauptsächlich von Illusionen, wie die Analystin sagte. War das die verschlüsselte Botschaft in Doktor Alis Nachricht? Erklärte das die kryptische Formulierung «
Machen Sie sich keine weiteren Sorgen um unser Problem»
? Oder sollte sie seine Bitte um Fluchthilfe unterstreichen?
    Und dann fiel Harry urplötzlich ein, dass es noch eine weitaus einfachere Erklärung für das Bild gab. Doktor Ali musste ihnen ein falsches Foto schicken, weil ihn ein echtes möglicherweise hätte auffliegen lassen. Er hatte das Bild einer Person geschickt, die jeder Iraner identifizieren konnte, falls ihm die Nachricht in die Hände fiel. Wie Harry würde auch die Geheimpolizei Fragen über den Regisseur und seine Frau stellen und schließlich herausfinden, dass sie nichts aufdem Kerbholz hatten. Und dann würden sie sich nach dem wahren Zweck des Fotos fragen und vermuten, dass der Absender dem Empfänger dadurch mitteilen wollte, dass auch er Frau und Kind hatte. Dabei war es nur ein Schleier, der über einer Maske lag, die wiederum eine Lüge verbarg.
     
    «Ich bin der Meinung, er bleibt im Land», verkündete Fox. «Zumindest so lange, bis alles vorbei ist. Sind ja ohnehin nur ein paar Monate. Nur wenn er vor Ort ist, kann er uns gute Dienste leisten, ansonsten ist er praktisch wertlos.» Er sah Harry an und schob das Kinn vor, wie um ihm zu zeigen, dass er vollkommen Herr der Lage war.
    Sie saßen im Büro des Direktors auf dem Sofa am Fenster. Der Direktor spielte mit ein paar mit Perlmutt verzierten Würfeln, die ihm kürzlich auf einer Reise nach Oman vom Chef des dortigen Nachrichtendienstes geschenkt worden waren. Er schüttelte die Würfel in der Hand, warf sie aber nicht, und eine Zeitlang war das Klappern und

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