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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Offizierslaufbahn bewarb, doch auch das hatte er abgelehnt.
    Im Sommer 2004 besuchte Harry seinen Sohn ein paarmal in Ramadi. Im Euphrattal war es heißer als in der Hölle. Harry ergriff jeden Vorwand, um dem dortigen CI A-Stützpunkt einen Besuch abzustatten, und schaute danach kurz bei den Marines vorbei, um ein paar Worte mit Alex zu sprechen. Manchmal rief er vorher an, manchmal auch nicht. Alex freute sich immer, seinen Vater zu sehen, und es war ihm niemals peinlich. Er musste jetzt niemandem mehr etwas beweisen. Harry kam meistens mit einem Leibwächter und einer Pistole im Schulterhalfter unter seinem Sommeranzug. Im Camp angekommen, schickte er den Leibwächter weg und umarmte seinen Jungen, der meistens gerade vollkommen verschwitzt von einer Patrouille in der Wüste zurückgekehrt war.
    «Wie geht es dir hier draußen?», fragte Harry, und Alex gabihm jedes Mal dieselbe Antwort, die man von allen Marines im Irak zu hören bekam.
    «Alles bestens, Dad. Wir machen die da draußen richtig fertig.»
    Harry nickte dann und ging mit seinem Sohn ein paar Schritte spazieren oder trank mit ihm im Schatten eine Cola, bis einer von ihnen wieder aufbrechen musste. Harry brauchte Alex nicht nach Einzelheiten seiner Einsätze zu fragen, denn er bekam die Berichte darüber jeden Morgen auf seinen Schreibtisch. Er las sie durch, suchte nach dem Namen von Alex’ Einheit, so wie er jeden Tag die Verlustlisten durchging. Das war ja gerade das Schlimme: dass er so viel darüber wusste, was Alex genau tat.
    Hin und wieder, wenn Harry bei Alex zu Besuch war, wurde das Camp mit Mörsergranaten beschossen, und Vater und Sohn flüchteten gemeinsam in einen der Betonunterstände, die man etwa alle fünfzig Meter angelegt hatte. Für Harry hatte es etwas seltsam Berauschendes, neben Alex zusammengekauert auf dem Betonboden zu liegen und ein angespanntes Lächeln zu tauschen, während über ihnen die Granaten krepierten. Andrea würde er das niemals erklären können, wie viel Spaß sie in diesen Situationen auch miteinander gehabt hatten.
    Wenn es für Harry Zeit war zu gehen, umarmte ihn sein Sohn noch einmal und sagte ihm ein paar aufmunternde Worte. «Wir zeigen es diesen Arschlöchern, Dad. Das kannst du den alten Republikanersäcken im Weißen Haus ausrichten.»
    Dann nickte Harry und streckte die Faust in die Höhe, oder er sagte etwas wie «Gut so!» oder «Geh raus und schnapp siedir, mein Junge». Das war es, was ihn heute noch am meisten bestürzte, wenn er an die letzten Monate in Alex’ Leben zurückdachte: Er hatte ihm nie die Wahrheit gesagt.
     
    Es lief nämlich alles andere als «bestens» da draußen in Anbar. Das hatte Harry genau gewusst, aber nie gesagt. Der Aufruhr wurde immer heftiger. Die Anfrage der CIA, ob sie denn mit den Stammesführern der Sunniten zusammenarbeiten dürfe, wurde von den Zivilisten im Pentagon und den Vizekönigen der Übergangsregierung abgelehnt, die alle glaubten, sie wüssten es besser. Mitte 2004 schickte Harry zunehmend eindringlichere Warnungen nach Washington: Die Aufständischen werben ihre neuen Mitglieder schneller an, als wir sie kaltstellen können. Die Kontrolle der irakischen Städte fällt in die Hände krimineller Banden, die Geschäfte mit der al-Qaida und den Aufständischen machen. Die Iraner pumpen Woche für Woche Millionen Dollar über die Grenze, um die schiitischen Milizen zu finanzieren. Und diese Milizen hatten die wahre Macht im Irak, nicht die Strohmänner in der Grünen Zone. Das alles schrieb Harry in seinen Berichten in die Heimat, und wenn eine besonders trübsinnige Nachricht von ihm ins Weiße Haus gelangte, fragte der Präsident gelegentlich nach, was für einen Defätisten man denn da zum CI A-Chef in Bagdad gemacht habe. Oder war er gar ein Demokrat? Harry teilte dem Weißen Haus mit, dass der ganze Einsatz auf Messers Schneide stehe. Aber Alex sagte er nichts davon. Zwei Jahre zuvor, im Jahr 2002, hatte Harry auf seinen Sohn eingeredet, sein Studium in Princeton nicht aufzugeben, aber er hatte es nicht mit dem nötigen Nachdruckgetan. Selbst noch unter dem Schock des 11.   September, hatte er im Herzen mit seinem Sohn übereingestimmt, der die Ansicht vertrat, ein diensttauglicher junger Mann, der sich jetzt nicht freiwillig zum Militär meldete, sei es nicht wert, sich Amerikaner zu nennen. Das war natürlich sentimentales Gewäsch, doch damals glaubte jeder daran, Harry eingeschlossen, und insgeheim war er sogar stolz auf seinen Sohn. Er hatte

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