Der Einsatz
zur Hand, der einmal seinem Vater gehört hatte, in der Hoffnung, dass ihn die schweren Worte in den Schlaf wiegen würden. Die ersten Kapitel erzählten von Gajumarth, dem ersten persischen König.
Der Forscher in dem Altertumsbuch,
Der von den Helden kund tut den Spruch,
Sagt so, dass der Kron’ und des Thrones Art
Gajumarth gründet und Herrscher ward.
Als auf zum Widder die Sonne ging,
Glanzherrlichkeit die Welt umfing,
So aus dem Widder ergoss sich ihr Strahl,
Dass jung davon ward die Welt zumal,
Und Gajumarth ward Gebieter der Welt …
Karim las die Zeilen und hoffte, dass das zeitlose Epos ihn in seinen Bann ziehen würde, aber sein Herz klopfte wie wild, und er konnte sich nicht konzentrieren. Er war in tödlicher Gefahr. Wenn er nichts tat, dann würden sie ihn irgendwann einmal schnappen. Wenn er versuchte zu fliehen, würden sie ihn auch schnappen. Egal, ob er den Mund aufmachte oder schwieg, sie würden ihm so oder so auf die Schliche kommen. Gab es irgendeinen Ausweg, der kein Trugbild war? Was, wenn sie ihn folterten? Wie mochte es sein, zu … sterben? Im Morgengrauen, im Halbschlaf nach einer durchwachten Nacht, kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er würde kommunizieren, ohne zu kommunizieren. Er würde eine Nachricht senden, die keine Nachricht war, die ihre eigene Deckung in sich trug. Aber konnte das auch wirklich funktionieren? Oder war es nur ein Traum, in den er sich in seiner Schlaflosigkeit flüchtete?
18 Washington
Harry Pappas war ein zutiefst loyaler Mensch, der Treulosigkeit nicht ertragen konnte. Er duldete sie bei anderen ebenso wenig wie bei sich selbst und hatte sich in dieser Hinsicht bisher auch nie etwas vorzuwerfen gehabt. Nun aber, als er von seiner Reise nach London zurückkehrte, hatte er das seltsame Gefühl, zwar nicht direkt das Vertrauen seiner Vorgesetzten missbraucht, aber doch eine Loyalität gegen eine andere ausgetauscht zu haben. Er konnte es sich selbst nicht richtig erklären. Bisher hatte er bei wichtigen Dingen noch nie in einem Zwiespalt gestanden – weder in seiner Ehe noch bei der CIA und schon gar nicht in Bezug auf die Treue gegenüber seinem Land. Jetzt aber hatte er dieses Gefühl zum ersten Mal. Ein Teil von ihm beharrte darauf, dass er etwas Falsches tat, aber eine weitaus lautere Stimme in seinem Inneren sagte, dass seine Handlungen richtig und notwendig waren. Er wollte mit Andrea darüber reden, als er nach Hause kam, aber sie war müde, und er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Also ließ er sie ins Bett gehen und goss sich einen großen Whisky ein.
Am nächsten Morgen nahm Harry im Büro an der üblichen Routinebesprechung mit Marcia Hill und seinem jungen Team teil. Wie immer arbeiteten sie die täglichen Checklisten mit noch anstehenden und erledigten Aufgaben ab. Ein Führungsoffizier in Eriwan hatte versucht, einen iranischen Geschäftsmann, der in Nekischewan lebte, als Agenten anzuwerben. Der Mann hatte bisher noch nicht nein gesagt, und der Führungsoffizier glaubte, dass fünfzigtausend Dollar ausreichen würden, um ihn endgültig zu verpflichten. Ein iranischer Teilnehmer an einem Treffen der InternationalenAtomkontrollbehörde in Wien hatte während eines Abendessens seinen Laptop auf dem Zimmer liegenlassen, was es der CIA ermöglicht hatte, heimlich den Inhalt der Festplatte zu kopieren. Jetzt wurden die Daten analysiert. Auch die übrigen Tätigkeiten klangen alle sehr ernsthaft: Aktionen waren genehmigt, Agenten überprüft, Quellberichte zur Weiterleitung aufbereitet worden. Alles schien seinen Gang zu gehen, doch wer konnte schon sagen, ob die Informationen, die sie bearbeiteten, auch echt waren?
Nach der Besprechung blieb Marcia Hill in Harrys Büro zurück. Sie kannte ihn besser als alle anderen. Während seiner Reise hatte sie ihm den Rücken frei gehalten, obwohl er ihr nicht einmal gesagt hatte, wo er hingeflogen war. Nach ihrem Kenntnisstand hätte er auch in einem Spielcasino in Las Vegas sein Geld verzockt oder in Boca Raton eine Hure gebumst haben können.
«Wie geht es Ihnen?», erkundigte sie sich jetzt. Eine typische Frauenfrage. Hätte ein Mann ihn das gefragt, wäre er ihm barsch über den Mund gefahren, und das Gespräch wäre damit beendet gewesen.
«Gut, glaube ich», sagte Harry. «Warum fragen Sie? Sehe ich etwa müde aus?»
«Ja, aber das tun Sie immer. Heute wirken Sie vor allem ziemlich zerstreut auf mich. Wollen Sie mir vielleicht davon erzählen?»
Marcia Hill war nicht dumm und
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