Der Einzelgänger
mit seiner klaren, präzisen Stimme. Keine Spur von Verschlafenheit, nicht die geringste. Wieder heulen Alarmsirenen auf.
»Ich bin's«, sage ich und halte den Atem an. Wenn wirklich der Drek am dampfen ist, wird er es mich mit seinen nächsten Worten wissen lassen.
»Guten Morgen, Richard«, sagt er, und ich atme wieder.
Er heißt Nicholas Finnigan - ich glaube nicht, daß je irgend jemand den Mut aufbringen wird, ihn Nick zu nennen -, und er ist ein hochtrabender alter Furz von über fünfzig, fett und beinahe kahl, der sich durchs Leben schlägt, als könne ihn nichts erschüttern. (Das eine Mal, als ihn doch etwas erschüttert hat, war ich da, um sein Fett aus dem Feuer zu ziehen, sonst wäre es auch das letzte Mal gewesen.) Er ist Schriftsteller - ein echter, nicht so ein Wissensingenieur, ein Dinosaurier, der mit Lineartext, mit Worten in einer Reihe, anstatt mit Hypertext arbeitet. Spionagekrimis, um Himmels willen. Ich persönlich hätte nie gedacht, daß es dafür einen Markt gibt, aber er verdient besser als gut - er besitzt ein Haus, echt, ein richtiges Haus, am Snohomish-fluß und einen Steinwurf von der Salish-Shidhe-Grenze entfernt.
Ich habe Nicholas vor sechs Monaten ganz in der Nähe des Telefons kennengelernt, von dem aus ich ihn jetzt anrufe - vielleicht hat die Erinnerung daran meine Wahl unbewußt beeinflußt. Jemand hatte sich mit dem Wunsch an die Cutters gewandt, ein paar Gremiin-Luftabwehrraketen zu kaufen, aber die Führung der Gang hatte Grund zu der Annahme, daß an dem vereinbarten Treffen etwas faul war. Ich führte das Team an, dessen Aufgabe es war, den Burschen zu schnappen, der zum Treffen kam, und ihn dann irgendwohin zu bringen und aus ihm herauszuholen, was tatsächlich ablief. (Ich nehme an, Blake hatte den Verdacht, daß der ganze Deal ein Lone Star-Komplott war.)
Jedenfalls wird das Treffen angesetzt, und der Bursche, den ich mir schnappen soll, ist dieser pummelige alte Kauz in einer verdammten Tweedjacke und einer Brille auf der Nase, um Himmels willen. Nicholas Fin-nigan. Mir war sofort klar, daß es sich nicht um ein Komplott handelte, der Deal aber auch nicht astrein war. Ich hatte meine Leute in der Gegend verteilt, und sie zogen den Ring zu, sobald Finnigan auftauchte. Offenbar spürte er, daß irgendwas faul war, da er nervös und auf dem Sprung war. Wenn er in Panik geriet und loslief, war klar, daß ihn einer meiner Leute umlegen würde.
Also verließ ich mein Versteck, rannte ins Freie und lenkte meine Leute ab, indem ich in die Dunkelheit auf einen Haufen Nichts schoß und ein paar unschuldige Müllcontainer demolierte. Während meine Leute aus der ganzen Gegend ein Sieb machten, scheuchte ich Finnigan nach Hause. Während ich das tat, gab er mir -ich kann es immer noch nicht glauben - seine verdammte Visitenkarte. Jedenfalls, als er in Sicherheit war, ging ich zurück und kümmerte mich persönlich um die Aufräumarbeiten. Die Geschichte, die ich Blake und Konsorten anschließend auftischte, war die, daß das Treffen tatsächlich nicht astrein gewesen sei, die Rückendeckung der anderen Seite ihre Absichten aber zu früh zu erkennen gegeben habe und der Kontakt-mann im anschließenden Feuergefecht entkommen sei. Wie schade. Blake kaufte mir die Geschichte ab, und damit war die Sache erledigt.
Ein paar Tage später rief ich aus reiner Neugier die Nummer auf der Visitenkarte an. Und so habe ich Nicholas Finnigan kennengelernt. (Als ich all das meinen Vorgesetzten beim Star meldete, bekam ich natürlich einen Anschiß. Aber zum Teufel mit ihnen.)
»Morgen, Nicholas«, sage ich. Ich grinse und muß einfach hinzufügen: »Immer noch mit Recherchen zum Waffenkauf beschäftigt?«
Er kichert warm. »Ich glaube, die Lektion, die du mir zu diesem Thema erteilt hast, zeigt immer noch Nachwirkungen«, sagt er. »›Schreib über Dinge, von denen du etwas verstehst‹ ist ja schön und gut, aber ich bin zu der Einsicht gelangt, daß in einigen Bereichen aus zweiter Hand erworbenes Verständnis völlig ausreicht.«
Ich schüttle den Kopf. Finnigan redet immer so, und man muß ihm bis zum Ende seines geschraubten Geredes folgen, wenn man wissen will, wovon, zum Teufel, er redet. Aber er ist ein netter Bursche. Unter anderen Umständen würde ich ihn gerne als Freund bezeichnen und nicht nur als Kontakt. »Freut mich zu hören«, sage ich. »Sorg dafür, daß es so bleibt, und halt dich aus allem Ärger raus.«
Eine kleine Pause tritt ein, und die Alarmsirenen heulen
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