Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Heizkörper waren nicht an, offenbar erwartete man am Wochenende keine Gruppe. Es war kalt, keiner der drei legte die Jacke ab.
»Wenn Sie die Zimmer sehen möchten …« Die Frau war ein wenig unschlüssig.
»Fürs Erste nicht«, sagte Héctor. »Eigentlich wollten wir mit Ihnen sprechen.«
Dolors Vinyals bat sie nicht, Platz zu nehmen, vermutlich weil es nicht ihr Zuhause war. Aber Héctor und Lola war es nach der langen Autofahrt ohnehin lieber so, und sie blieben mitten in diesem langen und engen Raum stehen.
»Ich weiß nicht, was Ihnen Herr Ricart gesagt hat«, begann Héctor.
»Mir wurde gesagt, dass ich Ihnen jede Auskunft geben soll, die Sie benötigen«, antwortete sie, nun ganz in ihrer Rolle.
»Erinnern Sie sich an die Gruppe? Die Leute kamen im März des vergangenen Jahres und waren drei Tage hier.« Er zeigte ihr das Foto.
Die Frau schaute sich das Bild interessiert an, und für einen Moment sah es so aus, als erkennte sie sie nicht wieder.
»Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, dass es während ihres Aufenthalts zu einem unangenehmen Zwischenfall kam. Sie haben ein paar erhängte Hunde gefunden.«
Es war die entscheidende Angabe, und Frau Vinyals nickte.
»Ja, klar! An ihre Gesichter habe ich mich nicht mehr erinnert. Aber das ja. Ich begreife nicht, wie jemand den armen Tieren so etwas antun konnte. Leute von außerhalb bestimmt.«
Héctor musste innerlich lächeln. Die Bösen kamen immer von außerhalb: aus einem anderen Land, einer anderen Region, selbst aus dem Nachbardorf.
»So etwas kommt nicht oft vor, nehme ich an.«
»Natürlich nicht!« Die gute Frau war empört. »Ehrlich gesagt, das hatte ich noch nie gesehen. Das heißt, gesehen habe ich es eigentlich nicht, aber sie haben mir an dem Samstagnachmittag davon erzählt.«
Héctor hatte die Geschichte schon zu oft gehört.
»Und dann sagten sie, sie wollten sie begraben, nicht?« Er wollte das Thema gleich beenden.
»Nein. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen die Polizei benachrichtigen, und das fanden sie auch. Ich nehme an, sie haben es erst später so beschlossen, denn irgendwann riefen sie an, um es mir zu sagen. Mein Mann und ich waren nicht da gewesen, wir waren in Figueres, mit unseren beiden Jungs. Hier ist es recht abgelegen, und manchmal müssen wir in die Stadt.«
Sílvia Alemany hatte es ihm schon erzählt: Die Gruppe hatte den Nachmittag frei und machte es sich zur Aufgabe, die armen Viecher zu begraben.
Noch ehe Héctor weiterfragte, wandte sich die Frau zum Fenster und deutete auf einen angebauten Schuppen.
»Dort haben sie sich dann die Hacken geholt und die Spaten. Einen müssen sie als Andenken mitgenommen haben, oder sie haben ihn verloren.«
»Sind Sie sicher, dass einer fehlte?«
»Joan sagte das. Er war sauer, dass er im Garten mit einem anderen arbeiten musste, einem kleineren. Ich meinte,sie hätten ihn beim Begraben der Hunde bestimmt vergessen. Jedenfalls, wenn ich jetzt daran denke, es war schon eine etwas seltsame Gruppe.«
Dolors drehte sich wieder um.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Alle haben so ihre Ticks. Außerdem kommen sie in ihrer Freizeit her und denken, das sei ein Hotel.«
»Sie und Ihr Mann kümmern sich weder ums Essen noch ums Saubermachen?«
»Nicht, während die Leute hier sind. Joan und ich kommen mal vorbei, falls sie etwas brauchen. Mehr nicht. Und wenn sie gehen, putzen wir.«
»Und warum meinten Sie, die Gruppe sei etwas seltsam gewesen?«, fragte Lola.
Die Frau seufzte.
»Also, da war einer, der wollte ein Einzelzimmer. Wie gesagt, manche glauben, sie seien hier im Hotel.«
»Und das war alles?«, hakte Lola nach.
»Na ja … Ich glaube nicht, dass es wichtig ist, aber offenbar hat sich eine der Frauen nachts erschreckt. Sie hat einen kleinen Spaziergang gemacht, allein, und wie sie sagte, hat sie jemanden gesehen. Es war ein … Migrant.«
Dolors hätte beinahe ein anderes Wort benutzt, aber dann entschied sie sich für diesen offiziellen Begriff.
»Ein Afrikaner? Ein Farbiger?«
»Ja, junge Frau, so einer aus Nordafrika. Früher gab es mehr, sie haben auf den Feldern gearbeitet. Jetzt sieht man sehr viel weniger.«
»Aber er hat sie nicht überfallen …«
Frau Vinyals machte eine abfällige Handbewegung.
»Pah, sie wird einen Schatten gesehen haben, was auch immer. Wieso geht sie auch im Stockdunklen draußen spazieren! Am nächsten Tag habe ich mich gefragt, ob wohl irgendwo eingebrochen wurde.« Sie lachte. »Als würde in Barcelona nie
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