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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Japaner mit ihrem Harakiri. Im Christentum dagegen glaubt man, dass das Leben nicht uns gehört, sondern von Gott kommt, und dass er der Einzige ist, der es geben oder nehmen kann. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Eine Gemeinschaft, ob Firma oder Gruppe, die einen Selbstmord begünstigte oder indirekt hervorriefe, wäre konfrontiert mit dem individuellen Widerstand ihrer Mitglieder, zu stark sind der Überlebenstrieb und einige soziokulturelle Normen, die einen Freitod verurteilen. Es hat Fälle von Massenselbstmord bei Sekten gegeben, deren Führer großen Einfluss auf die Mitglieder hatten. In einer modernen Firma aber wäre das undenkbar: Die Angestellten haben ein Sozialleben, Familie …«
    »Aber es hat auch Fälle gegeben …«
    »Ja, natürlich. In einer Umgebung mit viel Stress, wechselnden Arbeitsbedingungen und äußerster Unsicherheit wächst die Angst der Mitarbeiter. Soweit ich darüber gelesen habe, haben Angestellte, die sich das Leben genommen haben, vor ihrer Tat klar zum Ausdruck gebracht, dass der Grund die Firma war.«
    »Eine Art postume Anklage?«
    »Genau. Vereinfacht gesagt: Ein Mensch, der sich selbst tötet, tut dies entweder, weil er ehrlich glaubt, dass er nicht länger leben möchte, oder weil er will, dass sein Tod jemandem aufs Gewissen schlägt. Im ersten Fall ist es eine nüchtern getroffene Entscheidung, in den Augen des Betroffenen auch eine vernünftige, für einen Todkranken etwa, der seinen Angehörigen nicht zur Last fallen will. Im zweiten Fall ist die Absicht etwas abnormer: Nehmen Sie einen Jugendlichen, der sich umbringt, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Er möchte, dass die ganze Welt weiß, dass sie schuld ist, und so hinterlässt er eine Nachricht, mit der er sie mehr oder weniger deutlich anklagt. Verstehen Sie?«
    »Natürlich. Und wenn es keine Nachricht gibt? Überhaupt nichts?«
    »Das ist noch seltsamer. Die Leute neigen dazu, sich zu erklären, ihre geplante Tat zu rechtfertigen. Die einen von Schuld freizusprechen und andere anzuklagen. Es sei denn, es handelt sich um einen Moment der Verzweiflung, eine in höchster Erregung getroffene Entscheidung, und wenn der Suizidversuch fehlschlägt, tut diese Person so etwas nie wieder.«
    »Das Fehlen einer Nachricht deutet demnach auf eine plötzlich getroffene Entscheidung?«
    »Im Allgemeinen ja, Inspektor, aber in unserer heutigen Welt zu verallgemeinern heißt, sich etwas vorzumachen.«
    Héctor stimmte schweigend zu. Weder Gaspar noch Sara oder Amanda hatten eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht, weil sie den Grund vor der Welt verbergen wollten. Oder weil jemand für sie entschieden hatte.
    »Wohl wahr. Eins noch, Doktor«, manchmal nannte er ihn so, auch wenn er kein Arzt war: »Vielleicht will jemand auch niemand Bestimmten anklagen.«
    »Wenn die Person nichts Schriftliches hinterlässt, ist die Schuld noch diffuser. Die ganze Umgebung fühlt sich angesprochen, sei es, weil niemand den Suizid vorausgesehen hat, sei es aus Angst, ihn indirekt herbeigeführt zu haben.«
    »Das ist dann also noch schlimmer. Noch … rücksichtsloser.«
    Der Psychologe lachte.
    »Anders als in Ihrer Welt gibt es hier keine Guten und keine Bösen, Herr Inspektor.« Sein Ton wurde ernster: »Die rücksichtsvollen Selbstmörder, um Ihre Wortwahl aufzugreifen, wären dann diejenigen, die ihrem Umfeld die Schuld nehmen und sie sich eindeutig selbst zuschreiben. Wie eben der Kranke, der beschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen, und es so schriftlich hinterlässt. Oder …«
    »Oder?«
    »Wie einer, der seinen Selbstmord mit einem Unfall kaschiert. Er scheidet freiwillig aus dem Leben, aber er möchte nicht, dass die Menschen, die ihn lieben, sich schuldig fühlen, und so fährt er sich mit dem Auto zu Tode. Der Selbstmord ist nicht zu beweisen, und seine Angehörigen können ohne Gewissensbisse um ihn trauern. So einer wäre ein guter Selbstmörder, um bei Ihrer Terminologie zu bleiben.«
    Das Gespräch deprimierte Héctor noch mehr, und er verspürte das dringende Bedürfnis, aufzulegen, nach Hause zu gehen, zu laufen, irgendwohin, wo man das Leben atmen konnte, nicht den Tod.
    »Eins noch.« Héctor erinnerte sich plötzlich an den Frauenverein, der ihnen bei den Bankbewegungen von Sara Mahler aufgefallen war. »Haben Sie zufällig von dem Verein Hera gehört?«
    »Ja, Kollegen von mir haben dort mal einen Vortrag gehalten. Warum fragen Sie?«
    »Der Name ist im Zuge einer Ermittlung aufgetaucht. Können Sie mir etwas

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