Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mehr über diese Einrichtung sagen?«
»Es handelt sich um einen Verein von Frauen für Frauen. Sie kümmern sich um Opfer von Missbrauch und sexuellen Übergriffen.«
Mit einem Mal erhielten alle diese unzusammenhängenden Angaben zu Saras Gefühlsleben einen Sinn.
»Vielen Dank. Aber ich will Ihnen nicht die Zeit stehlen.«
»Keine Sorge. Ich hoffe, wir sehen uns nächste Woche, Héctor. Sie müssen mir erzählen, ob Sie gemacht haben, was ich Ihnen aufgegeben habe.«
Héctor versicherte, er käme nie auf die Idee, seine Anweisung nicht zu befolgen, und verabschiedete sich. Und noch eine ganze Weile, vielleicht um dunklere Stimmen aus seinem Kopf zu vertreiben, dachte er darüber nach, ob er bei der Bestandsaufnahme dessen, was er im Leben hatte, Lola einrechnen konnte oder nicht.
33
Die Landstraße erstreckte sich vor ihnen. Ein fester, gerader, wohlbegrenzter Raum, ein ruhiger Rahmen für eine ruhelose, von einer Flut von Ungewissheiten bewegte Fahrt. Selbst der Himmel mit seinen dichten Wolken betonte die Unsicherheit noch, Wolken, die langsam wie ein Trauergeleit dahinzogen, auch wenn sie manchmal von ihrer Bahn abkamen und ein zarter Sonnenstrahl sie neckte. Im Innern des Wagens hatten Héctor und Lola den Artikel und seine Konsequenzen besprochen, hatten ihre Zweifel geäußert zu dem, was sie herausfinden würden, und am Ende hatten sie sich in einer Aufzugstille eingerichtet, dieser Atmosphäre von Höflichkeit und Herausforderung, wie man sie nur eine bestimmte Zeit und in stabiler Umgebung erträgt, ohne aufrüttelnde Störungen.
Héctor wollte schon nach einer Zigarette greifen, beherrschte sich aber.
»Rauch, wenn du möchtest«, sagte sie. »Ich bin noch in der Phase, in der ich den Geruch angenehm finde.«
»Sicher?« Er steckte sich die Zigarette mit dem Anzünder an und öffnete das Fenster. Den Rauch blies er nach draußen. »Wann hast du aufgehört?«
»Vor zwanzig Tagen.« Sie lächelte. »Ja, ich weiß. Der typische Vorsatz fürs neue Jahr.«
»Ich sollte auch aufhören.« Nachdem er gerade einen tiefen Zug genommen hatte, klang der Satz ein wenig lächerlich.
»Zugegeben, ich hatte es schon ein paarmal versucht, ohne Erfolg, aber jetzt habe ich es mir ernsthaft vorgenommen. Zuerst bin ich zum Selberdrehen übergegangen, was theoretisch entspannt, aber mich hat es nervös gemacht.Und am Ende dachte ich, ehe ich mich mit Ersatz begnüge, höre ich lieber ganz auf.«
Der letzte Sonnenstrahl verschwand wieder unter einer langsamen, aber unerbittlichen Wolke. Es kann nicht mehr weit sein, dachte Héctor.
Eine Viertelstunde später bogen sie auf einen Feldweg ein, der zu dem Haus führte. Die freundliche Landstraße, über die sie gefahren waren, hatte sich plötzlich in einen schmalen, tückischen Weg voller Steine verwandelt. Lola hielt sich am Türgriff fest, während der Wagen voranholperte, wie nervös, mit einer größeren Eile, als das Gelände erlaubte.
Vor dem Haus, das kleiner war, als es auf den Fotos gewirkt hatte, erwartete sie eine etwa vierzigjährige Frau. Klar, dass die Leute von der Weiterbildungsfirma sie benachrichtigt hatten.
Héctor hatte den Wagen am Rand der Zufahrt abgestellt, auch wenn er ihn wahrscheinlich mitten auf dem Weg hätte parken können, ohne irgendwen zu stören. Lola und er gingen auf die Frau zu, sie winkte. Es war kalt, die Sonne hatte bei dem ungleichen Kampf schon aufgegeben, und zum x-ten Mal an diesem Tag fragte sich Héctor, was sie zehn Monate nach dem Aufenthalt der Gruppe von Alemany Kosmetik dort noch herausfinden konnten. Lola dagegen schien recht munter zu sein, vielleicht auch nur, weil sie endlich aussteigen und laufen konnte.
Die Frau empfing sie mit einem Lächeln, gleichwohl nicht frei von Misstrauen.
»Guten Tag.« Sie hatte einen starken katalanischen Akzent. »Kommen Sie herein. Man hat mir gesagt, dass Sie kommen, ich habe nur später mit Ihnen gerechnet. Ich bin Dolors Vinyals. Mein Mann Joan und ich wohnen in derNähe. Wir kümmern uns um das Haus, wenn nötig, aber das wissen Sie ja.«
Héctor stellte sich und Lola vor, ohne zu erwähnen, dass sie nicht zur Polizei gehörte. Frau Vinyals fragte auch nicht nach und führte sie hinein.
Drinnen war es tatsächlich wie auf den Fotos: ein klassisches Gehöft, das Mobiliar ein wenig zusammengewürfelt, aber dennoch ein harmonisches Ensemble. Im offenen Kamin brannte zwar kein Feuer, aber er gab diesem gewöhnlich von Radiatoren beheizten Raum einen Touch von Landleben. Die
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