Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Pass gesehen, ging also zu denen, die an der Pinnwand steckten, neben dem Bildschirm, und er musste an seine Schwester denken, die als Jugendliche auch so eine gehabt hatte. Er hatte nie verstanden, was das sollte, ein Zugticket, eine Kinokarte, und dann wurden die Sachen aufgehängt, als wäre es ein Jugendaltar.
Er war überrascht, als er eine lächelnde Sara sah, und allein war sie auch nicht, im Gegenteil. Die Fotos zeigten ein etwas pummeliges, strahlendes Mädchen mit sehr schwarzem Haar, und neben ihr zogen Bild für Bild fast sämtliche Stammspieler von Barça vorüber, einschließlich des Trainers.
»Ach ja«, sagte Kristin. »Sie war fußballverrückt. Ich glaube, deshalb hat sie die Wohnung hier gemietet, es ist nicht weit bis zum Camp Nou. Von dem war sie ein echter Fan«, und sie deutete auf das Bild mit Sara und Pep Guardiola.
»Ging sie oft ins Stadion?«
»Nein. Nur zu manchen Spielen.«
Er betrachtete Sara, und ihm war sofort klar, dass Selbstmord nicht zu ihren Plänen gehörte, nicht einmal als ferner Gedanke. Ihre Augen leuchteten, das Lächeln erhellte ihr Gesicht.
»Verstehe. Ich nehme das Foto mit, einverstanden?«
Kristin hob unschlüssig die Schultern.
Auch ein anderes Foto fiel ihm auf, zunächst weil kein Fußballspieler neben ihr stand. Eine Gruppe Männer und Frauen, leger gekleidet, posierten vor einem Kleinbus. Er nahm es ab und zeigte es Kristin.
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Arbeitskollegen, nehme ich an.«
»Gehörte Sara zu einer Wandergruppe oder so?«
Sie lachte, als wäre allein der Gedanke abwegig. Er betrachtete noch einmal das Foto und sah sich Sara genau an. Auch hier lächelte sie breit, und die fröhliche Miene verlieh ihr etwas beinahe Kindliches; die halblangen, beigefarbenen Shorts standen ihr gar nicht gut. Ohne erst um Erlaubnis zu fragen, steckte er das Foto ein.
Roger Fort schaute sich um. Im Zimmer gab es nicht viel mehr zu sehen. Er öffnete den Schrank und fand, was zu erwarten war: Kleidungsstücke, akkurat gefaltet oder aufgehängt. Ja, ohne Zweifel, Sara war eine mehr als ordnungsliebende Person gewesen. Die Stücke waren nach Farben sortiert, alles auf den Millimeter genau ausgerichtet. Neben dem Computer hingen Regale mit Taschenbüchern, die meisten auf Deutsch oder Englisch. Auf dem Nachttisch lag ein Roman, von einer Autorin namens Melody Thomas, den Sara dem Lesezeichen nach zu urteilen zur Hälfte durchhatte. Das Ende würde sie nicht mehr erfahren, dachte Fort. Mit Saras Fotos und ein wenig niedergeschlagen trat er aus dem Zimmer.
»Und was mache ich mit Saras Sachen?«, fragte Kristin, als wäre ihr die Frage eben erst eingefallen. »Muss ich sie in Kartons packen?«
Die junge Frau schaute beklommen, und nicht zum ersten Mal seit der Nacht auf Donnerstag spürte Roger Fort, wie ihn eine schmerzliche Traurigkeit überkam bei dem Gedanken, dass Sara Mahler niemanden hatte, der sich um ihre Habseligkeiten kümmerte, abgesehen von dieser Mitbewohnerin, die sie kaum zwei Monate kannte und die es ohnehin nur aus Pflichtgefühl tat. Auch bezweifelte er, dass Joseph Mahler irgendein Interesse an den Sachen seiner Tochter hatte.
Kristin wartete auf eine Antwort, so dass Fort sich für eine Kompromisslösung entschied.
»Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das wäre das Beste. Dann rufen Sie mich an, und ich hole die Kisten ab.«
»Einverstanden.«
»Noch etwas.« Er wollte dem Mädchen nicht das Foto mit den Hunden zeigen, sie war schon verstört genug. Aber fragen sollte er sie danach. »Hat Sara Ihnen gegenüber mal von Hunden gesprochen? Hatte sie Angst vor Hunden oder etwas in der Art?«
Sie schaute ihn an, als wäre er nicht ganz dicht.
»Hunde?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, gar nicht. Ich weiß nicht, ob sie Hunde mochte oder nicht. Was hat das mit ihrem Selbstmord zu tun?«
Sie hatte das Wort zum ersten Mal ausgesprochen. Schon merkwürdig, dachte Fort, wie schwer es den Leuten doch fiel, manche Dinge beim Namen zu nennen.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nichts«, antwortete er und beließ es dabei.
Sekunden später war Roger Fort an der Tür, ohne dass er genau wusste, ob der Besuch ihm irgendetwas gebracht hatte, abgesehen von den beiden Fotos und einem Gefühl von Wehmut, das ihm die Brust zusammenzuschnüren schien.
»Entschuldigen Sie«, sagte Kristin, als der Polizist schon im Treppenhaus war. »Ich habe eben hässliche Dinge über Sara gesagt. Das war nicht gelogen. Aber dann ist mir eingefallen, dass ich mal
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