Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
krank war, und da hat sie den Arzt gerufen und sich um mich gekümmert. Sie hat eine Suppe gekocht und mir ans Bett gebracht.« Sie senkte den Kopf, wie beschämt. »Nichts Besonderes. Ich wollte nur, dass Sie es wissen. Sara war seltsam, aber sie war kein schlechter Mensch.«
Roger Fort nickte, lächelte. Die Aufzugtür öffnete sich, und heraus kam jemand, der Kristins katalanischer Freund sein musste. Genauso jung wie sie, nur weniger blond. Während er hinunterfuhr, betrachtete Fort die beiden Fotos. Der letzte Satz der Holländerin, dachte er, wäre eine passende Grabinschrift, auch wenn er gewiss auf einen großen Teil der Weltbevölkerung zutraf. Bevor er hinausging, steckte er die Fotos ein. Sara Mahlers Lächeln, dieses kindliche Gesicht, hatte sich in einen Winkel seines Gedächtnisses geschlichen, zusammen mit einer Mutlosigkeit, die dafür sorgte, dass die Straßen Barcelonas, überquellend von Autos und Passanten, ihm auf einmal vorkamen wie ein unbekannter, feindseliger Ort.
8
Es gibt gute Nachrichten, die man gerne überbringt, weil man weiß, dass sie freundlich aufgenommen werden, und die allerschlimmsten, die eine entsprechende Miene erfordern; bei denen man sich wünscht, der bittere Moment möge bald vorbei sein. Und dann gibt es noch eine dritte, uneindeutige Sorte, die mit gemischten Gefühlen einhergeht, irgendetwas zwischen Freude und Wehmut. Zumindest für mich, dachte Héctor, als er sich anschickte, der Unterinspektorin Andreu die »Chance« zu erläutern, die sich ihr bot.
Martina platzte vor Neugier, keine Frage. Seit dem Abend zuvor war ihr Salgados Satz nicht aus dem Kopf gegangen, wie ein lästiger Stachel, gerade so klein, dass sie ihn nicht loswurde. Noch dazu hatte der Inspektor den ganzen Vormittag wieder mit Savall zusammengesessen und stand erst nach dem Mittagessen zur Verfügung.
»Schieß schon los, Héctor«, sagte sie, kaum dass sie vor ihm saß. »Du lässt mich zappeln, und das ertrage ich nicht. Überraschungen machen mich nervös, das weißt du.«
Ja, wusste er. Manchmal solidarisierte er sich mit dem Mann der Unterinspektorin, auch wenn er den kaum kannte. Jemanden an seiner Seite zu haben, der die Stimme der Vernunft war, konnte anstrengend sein.
Salgado holte Luft.
»Du hast gesehen, dass wir gestern eine Sitzung mit Savall hatten?«
»Habe ich, klar. Tu nicht so wichtig.« Sie schenkte ihm ein warnendes Lächeln.
»Warte. Nicht so ungeduldig.« Er hatte sich die passenden Worte zurechtgelegt, doch jetzt, wo sie vor ihm saß undihn mit ihrer üblichen Offenheit anschaute, pfiff er drauf. »Also, Calderón war da. Du kennst ihn, von der Abteilung Organisierte Kriminalität bei der Nationalpolizei.«
Martina kannte ihn vom Sehen. Sie hatten in der Sache mit dem Frauenhändlerring und den nigerianischen Mädchen zusammengearbeitet, vor einem Jahr, auch wenn Héctor sehr viel mehr mit ihnen zu tun hatte.
»Ich fasse es dir kurz zusammen. Zurzeit hat Calderón mehrere Sachen auf dem Tisch, vor allem aber beschäftigt er sich mit einer. Den Mafia-Organisationen aus Osteuropa. Ukrainer, Georgier, Rumänen … und Russen.« Der Nachdruck, mit dem er das letzte Wort betonte, war deutlich. »Bisher sind die Russen in Spanien meist als Investoren hervorgetreten, weniger durch offene Kriminalität.«
Martina nickte. Die Nachrichten über die mutmaßlichen wory w sakone oder »Diebe im Gesetz« machten seit längerem in den Zeitungen und in den Behörden die Runde. Diese »Diebe« entsprachen den Paten der italienischen Mafia und residierten luxuriös an verschiedenen Orten in Spanien, hauptsächlich im Süden. Dank Immobilienboom, diesem Fass ohne Boden, konnten sie leicht ihr Geld waschen, vor allem bei den Wohnanlagen an der Küste.
»Wie wir alle wissen«, fuhr Héctor fort, »ist das Immobilienthema nicht mehr das, was es mal war, und Calderón zufolge ändern einige von denen, die bisher lediglich investiert haben, nun ihre Strategie. Sie bringen ihr Geld dorthin, wo es lukrativer ist, und betrachten Spanien nun als Ort fürs klassische Geschäft. Du weißt schon, Drogen, Mädchen, alles Mögliche. Wie es scheint, zerstreuen sie sich. Früher lebten sie alle auf einem Haufen, meist irgendwo an der Küste, um nicht aufzufallen und als zugezogene Ausländer durchzugehen, von wegen günstigeres Klima. Vor ein paar Monaten, so Calderón, begannen die Umzüge. Der Boss bleibt am Ort, aber die Helfer haben sich auf verschiedeneGegenden des Landes verteilt: Valencia,
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