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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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besonders diese Straße, die noch etwas Dörfliches bewahrte, als wäre es die Hauptstraße einer anderen Stadt, einer kleineren, vornehmeren, die mit dem restlichen Barcelona nichts gemein hatte.
    Montserrat Martorell, verheiratete de Valldaura, war so imposant, wie ihr Name schon andeutete, dachte Leire, als die Dame sie in den »kleinen Salon« bat, der so groß war wie ihre ganze Mietwohnung.
    »Es ist zu kalt, um uns in den Hof zu setzen«, sagte sie, als wäre es eine unbestreitbare Tatsache.
    Die Frau, die Leire nun vor sich hatte, älter, aber absolut nicht alt, hatte sie von oben bis unten gemustert. Und sich binnen Sekunden ein Bild von ihr gemacht, keine Frage. Nur als ihr Blick auf Leires dicken Bauch fiel, ließen ihre Augen eine leichte Missbilligung erkennen, als hielte sie es für unangebracht, dass eine Frau in ihrem Zustand fremder Leute Häuser aufsucht. Aber es war nur ein kurzes Zucken gewesen, und gleich lächelte sie und schlüpfte elegant in ihre Gastgeberrolle. Sie bot ihr etwas zu trinken an, Kaffee, Tee oder eine Limonade, was Leire mit außergewöhnlicher Liebenswürdigkeit ablehnte.
    »Nun denn, dann legen Sie los.«
    Der Satz war fast derselbe gewesen wie zu Beginn ihres Gesprächs mit Carol, doch diesmal antwortete Leire mit einer ausgefeilten Erklärung, als wäre sie ein Schulmädchen und müsste sich vor der Direktorin für die vergessenen Hausaufgaben rechtfertigen. Frau Martorell hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen, aber auch ohne ihr die Sache zu erleichtern. Leire fragte sich, was wohl hinter diesen Augen vor sich ging, die zu grau, zu forschend, zu kalt waren, um schön zu sein. Sie beendete ihre Rede und wartete auf das Urteil, doch was kam, war eine Frage.
    »Und mein Schwiegersohn weiß nichts davon?«
    Dass sie von Inspektor Salgado noch als von ihrem Schwiegersohn sprach, wenn auch nicht allzu liebevoll, wunderte sie.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Montserrat Martorell, als Leire zögerte, »ich muss gestehen, dass mich die Art, wie die Dinge zurzeit betrieben werden, irritiert. Der Mann meiner Tochter ist Polizist, und trotzdem übernehmen Sie nun die Ermittlungen zu ihrem Verschwinden.«
    »Ihr ehemaliger Mann.«
    Es war klar, dass nur wenige Menschen Frau Martorell korrigierten.
    »Eingereicht hatten sie die Scheidung noch nicht. War Ihnen das nicht bekannt?«
    »Nein.«
    »Aber so ist es.«
    »Wussten Sie, dass Ihre Tochter eine Beziehung unterhielt mit …«
    »Natürlich«, sie ließ Leire den Satz erst gar nicht beenden. »Ruth selbst hat es mir gesagt.«
    »Hatten Sie etwas dagegen?«
    Eigentlich wollte sie nicht so direkt sein, aber die Frau hatte etwas an sich, was Umschweife unmöglich machte. Montserrat Martorell mochte eine Dame der alten Schule sein, doch Leire glaubte zu ahnen, dass ihr Offenheit lieber war als falsche Rücksichtnahme.
    »Selbst wenn, was heißt das schon. Sie mögen es noch nicht wissen, aber es kommt der Tag, an dem die Kinder beginnen, ihr eigenes Leben zu leben. Ob zum Guten oder zum Schlechten, sie tun es. Und Ihre Rolle, wie die meine, wird es sein, zu schweigen und zu akzeptieren. Manchmal ist es nicht leicht, und man muss sich mehr als einmal auf die Zunge beißen. Am Ende lernt man es, wie alles.« Sie hielt inne, holte Luft. »Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Nein, ich hatte nichts dagegen. Überrascht Sie das?«
    Leire musste verblüfft geschaut haben, denn Frau Martorell lächelte.
    »Ihr jungen Leute glaubt, ihr hättet alles erfunden. Es hat immer Männer und Frauen gegeben, die Menschen ihres eigenen Geschlechts lieben. Das ist keine Neuheit dieses Jahrhunderts, glauben Sie mir. Neu ist nur, dass sie es offen tun. Aber die Sache an sich ist dieselbe, oder?«
    »Ja. Aber waren Sie denn nicht überrascht? Einfach so, aus heiterem Himmel, meine Mutter wäre es«, musste sie zugeben. »Nicht dass sie es missbilligte, aber verwundert wäre sie schon.«
    »Sobald Ihr Kind auf der Welt ist, werden Sie sehen, dass Sie nur wenig überraschen kann.« Ihr Ton war derart selbstgefällig, dass es Leire ärgerte. »Aber Sie sind nicht hergekommen, um zu erfahren, was ich davon hielt, dass meine Tochter mit einer anderen Frau ins Bett ging, nicht wahr?«
    Leire wurde rot, und sie hasste sich selbst dafür.
    »Nein, ich hatte nur das Gefühl, wenn ich herausfinden will, was mit Ruth passiert ist, muss ich sie besser kennenlernen. Und die Beziehung zur Familie erzählt immer viel über die Menschen.«
    »Das mag so sein«,

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