Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hat sich ihr Zustand verschlechtert, ihr Verfall ist unübersehbar, und er erträgt kaum den Anblick. Schmerz und Müdigkeit sind noch so eine gefährliche Kombination. Manchmal gewinnt der Schmerz die Oberhand und gibt ihm Kraft, um weiterzukämpfen. Aber in Momenten wie diesen setzt die Erschöpfung sich durch, und er wünscht sich nur, von ganzem Herzen, dass alles endlich vorbei ist.
Sich den Tod eines Menschen zu wünschen, den man geliebt hat, ist schrecklich, und Octavi ist sich dessen bewusst. Aber die Wirklichkeit kann er nicht leugnen. Das Haus, das sie aufnahm, als sie sich liebten, verwandelt sich in ein Grab. In sein Grab.
Auf dem Sofa sitzend, vor dem Kamin, versucht er die dunklen Gedanken aus seinem Kopf zu verscheuchen. Den ganzen Tag hat er darauf gewartet, dass Sílvia anruft, aber nichts. Irgendwann wird sie es, ganz sicher. Gestern hat er mit Víctor gesprochen. Víctor … so voller Hoffnungen, so kindlich mit seinen Wünschen. Aber wer weiß, vielleicht haben nur sie selbst, er und Eugènia, falsch gelebt, gekettet an die Arbeit, den Alltag, Verpflichtungen. Und wozu? Um zu sterben, wenn es so weit ist und sie ein bisschen jene Freiheit genießen könnten, die sie sich mit Jahren der Anstrengung erkauft haben. Nein, Víctor Alemany kann er nicht vorwerfen, dass er sich seine eigene Freiheit kaufen will, wenn er die Mittel dazu hat.
Das Bellen klingt wieder näher, drängender, und Octavi geht zum Fenster und zieht die Gardinen zurück. Wie zu erwarten sieht er nichts. Er bleibt dort stehen, lauscht auf dieses immer hysterischere Jaulen. Jemand muss in der Umgebung herumstreichen, denkt er besorgt, bevor er zu Eugènia hinaufgeht, um zu sehen, wie es um sie steht. Um zu sehen, ob sie noch lebt oder der Tod endlich gesiegt hat.
»Ich will, dass du schläfst, wenn ich komme. Dass du mein Dornröschen bist. Das ist deine Strafe. Nur mir wird dein Körper heute Nacht Lust bereiten.«
Und Amanda gehorcht. Sie weiß, was von ihr erwartet wird. Sie hat die Laken gewechselt, so wie immer, alles in Weiß. Weiß ist auch das Nachthemd, das er von ihr für dieses Spiel verlangt. Weiß sind die Pillen, die sie nehmen soll, damit sie tief schläft und er mit ihrem bewusstlosen Körper tun kann, was er will.
Sie sitzt auf dem Bett und schluckt sie mit einem Glas Wasser. Die nötige Menge kennt sie schon. Er würde böse werden, wenn sie mitten im Spiel aufwachte. Beim ersten Mal ist das passiert, und er war so sauer, dass Amanda nicht noch einmal versagen wollte. Sie legt sich hin und lässt sich vom Schlaf liebkosen, stellt sich vor, was er mit ihr macht … Sie sieht ihn, nackt, wie er ihre leblosen Arme fesselt, ihren Körper behandelt wie das schöne Stück Fleisch, das er ist. Sie verliert fast schon das Bewusstsein, als sie hört, wie die Tür des Schlafzimmers aufgeht. Es ist nicht ihre Schuld, wenn die Pillen noch nicht ganz wirken. Ihr fallen die Augen zu, ihr Körper ist schwer, und auch wenn sie das Gefühl hat zu träumen, merkt sie, wie Hände sie an den Schultern packen und sie brüsk aufrichten.
Amanda weiß, dass sie eigentlich schlafen müsste. Deshalb wehrt sie sich nicht, als sie merkt, wie man ihren Mund öffnet und Pillen hineinschüttet, dann Wasser, noch mehr Pillen. Mit letzter Kraft schluckt sie sie hinunter und denkt, dass Saúl zufrieden sein wird und die Nacht über bleibt. Sokann sie ihn sehen, wenn das Spiel vorbei ist und sie das Bewusstsein wiedererlangt. Wenn sie aufwacht …
LEIRE
25
»Du hast geschlafen und ich wollte dich nicht wecken. Ich muss los. Wir sehen uns bald. Kuss. T. Ah, und pass auf den Gremlin auf.«
Der Zettel lag auf dem Nachttisch, als Leire nach einem ungewöhnlich langen Mittagsschlaf aufwachte. Sie hatte sich gegen halb vier hingelegt, fest davon überzeugt, dass sie höchstens für eine halbe Stunde einnicken würde, doch als sie die Nachricht las und auf die Uhr schaute, erschrak sie: Es war schon fast sechs. Der AVE fuhr wahrscheinlich gerade ab, Tomás musste schon vor einer Weile gegangen sein. Zu benommen noch, um rasch zu reagieren, blieb sie auf der Bettkante sitzen und wusste nicht, ob sie sich wieder hinlegen oder den Sonntag neu beginnen sollte. Am Ende entschied sie sich für Letzteres, vor allem weil sie wieder Hunger hatte. Der Gremlin, wie Tomás ihn nannte, bereitete ihr in den unerwartetsten Momenten einen echten Heißhunger. Besser gesagt, fast immer, auch wenn sie das kleine Monster vorsichtshalber, den Ratschlägen des
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