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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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werdenden Vaters folgend, niemals nach Mitternacht fütterte.
    Kaum hatte sie ein paar Käsesandwichs verschlungen und ein bisschen Obst im Bauch, fühlte sie sich voller Energie. Dass dem Tag nur noch fünf Stunden blieben, bekümmerte sie nicht; sie gewöhnte sich langsam daran, dass es keine festen Zeiten gab und sie tun konnte, wozu sie Lust hatte. »Nutz die Gelegenheit. Wenn der Junge auf die Welt kommt, bestimmt er, wo es langgeht«, hatte ihre Mutter gesagt.
    Am Abend zuvor hatten Leire und Tomás erneut davon gesprochen, wie die Zukunft mit Abel wohl aussähe. Das heißt, Tomás hatte das Thema angeschnitten, kurz bevor erins Bett ging, plötzlich und wie beiläufig, als wäre alles längst klar.
    »Ich sollte mir langsam eine Wohnung hier in der Gegend suchen«, sagte er. »Ich kann nicht für immer ein Hausbesetzervater sein.«
    »Du willst nach Barcelona ziehen?« Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
    »Das wäre am praktischsten, meinst du nicht? Natürlich werde ich weiter viel unterwegs sein, du weißt ja, wie das ist in meinem Job, aber wenn schon was mieten, dann am besten in derselben Stadt wie mein Sohn.«
    Es war das erste Mal, dass er sich so ausdrückte, und Leire war nur baff, überrollt von einem absurden Gefühl der Dankbarkeit, gegen das sie vergeblich ankämpfte. Schon am Freitagabend, als er kam, hatte sie Ähnliches erlebt. Sie war sich zwar absolut nicht sicher, was sie für Tomás fühlte, aber sie hatte sich kurz vorher im Dielenspiegel angeschaut, und darin sah sie einfach nur riesig aus, nie wäre ihr der Gedanke gekommen, schwangere Frauen seien schön. Weshalb sie fast in Tränen ausgebrochen war, als er, kaum in der Tür, den Koffer fallen ließ und sich auf sie stürzte.
    »Also, was meinst du? Wirst du es aushalten, weniger als zehn Kilometer von mir zu leben?« Seine Augen lächelten. »Ich verspreche dir, dass ich deinen Kühlschrank nicht plündere.«
    Leire sagte ja, auch wenn es ihr, rein logisch gedacht, sinnvoller erschien, wenn Tomás sich keine eigene Wohnung suchte, sondern bei ihr und Abel einzog. Doch ob er einen derartigen Vorschlag erwartete oder nicht, er war so klug, es nicht auszusprechen, und sie hütete sich. Das Angebot, besser gesagt: das Ausbleiben eines solchen hing jedenfalls den ganzen Sonntagvormittag in der Luft, und nach dem Mittagessen legte sich Leire für eine Weile hin, um nicht daran zu denken.
    Sie zog sich an, wollte auf die Straße, bekam aber heftige Zweifel, als sie den Kopf zum Balkon hinausstreckte. Das ganze Wochenende war das Wetter schrecklich gewesen, und jetzt regnete es zwar nicht, aber die Kälte biss ihr in die Wangen. Diese Unentschlossenheit nervte sie, eine Unsicherheit, die für sie neu war und selbst die kleinsten Aspekte des Lebens erfasste. Und plötzlich dachte sie, dass Ruth Valldaura genau gewusst hätte, was zu tun war. Ein absurder Gedanke, völlig unpassend, aber sie war fest davon überzeugt. Denn Ruth, die kaum zwanzigjährig beschloss, mit Héctor Salgado zusammenzuleben, die mit fünfundzwanzig ein Kind bekam, sich mit achtunddreißig trennte, um ein anderes Leben zu beginnen, und ihr Kind mitnahm, diese Frau machte nicht den Eindruck einer unentschlossenen Person. Vielleicht rührte daher ihr Zauber, dachte Leire, und sie sah sich noch einmal die Fotos an: Hinter der scheinbaren Gelassenheit verbarg sich ein eiserner Wille, die Fähigkeit, von einem vorgezeichneten Weg auf einen ungewissen abzubiegen, ohne jene, die sie zurückließ, geringzuschätzen. Soviel sie wusste, hatte Ruth es geschafft, ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern zu bewahren, zu ihrem Exmann, zu ihrem Sohn. Und Menschen, die mit Lob eher geizten, wie Martina Andreu und selbst Kommissar Savall, waren erschüttert, als sie von ihrem Verschwinden erfuhren, nicht nur weil sie Héctor sehr schätzten, sondern sie, Ruth. Und selbst als Carol die Vermutung äußerte, Ruth hätte sie irgendwann sowieso verlassen, klang sie nur traurig, nicht verletzt. »Liebe schafft ewige Schuld.«
    »Du hast das Leben mutig angepackt, Ruth Valldaura«, sagte sie zu dem Foto. »Was hast du noch auf eigene Faust getan? Warum hast du die Adresse von Dr. Omar notiert?« Wenigstens das würde sie vielleicht bald wissen. Das Gute an ihrem gegenwärtigen Status als beurlaubte Polizistin war, dass sie weiterhin Freunde an den verschiedenstenStellen hatte und zugleich viel freie Zeit. Und so hatte sie ihre Beziehungen spielen lassen. Es war nicht

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