Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
eingeweiht. Doch jetzt, im Januar 2011, nur wenige Jahre danach, war weder das Modelo bedeutend leerer, noch schaffte es Brians II, seinen eigentlichen Charakter länger zu verbergen. Sein wahres Wesen drang durch die Architektur hindurch, als hätte es sie von innen her angesteckt. Wie kann man sich nur so irren, dachte Leire, deren Ansichten in diesem Punkt politisch nicht korrekt waren: Die Leute hatten Verbrechen begangen, deshalb hatte man sie dazu verurteilt, ein paar Monate oder Jahre fern der Gesellschaft zu leben. Ob sie die Zeit für ihre Resozialisierung nutzten oder nicht, hing am Ende, so wie alles, von ihrer Persönlichkeit ab und davon, was sie aus ihrer Situation machten. Einige schafften es, andere kamen noch schlimmer heraus, als sie hineingegangen waren. So war das Leben.
Während sie darauf wartete, dass der Beamte, dem sie die Erlaubnis verdankte, mit dem Häftling ins Besuchszimmer kam, spürte Leire dieses klassische Kribbeln des Ermittlers,der glaubt, er sei kurz davor, etwas Wichtiges aufzudecken. Ein bekanntes und nie ganz unbegründetes Gefühl. Zwar hatte Inspektor Salgado den Mann eingehend verhört, Damián Fernández, Zeuge des angeblichen »Voodoo-Zaubers«, den Dr. Omar gegen Ruth ausführte, aber es blieb immer noch die Möglichkeit, etwas Neues herauszufinden, und für sie war das ein Schuss Adrenalin. Als sie hörte, wie die Tür aufging, wandte sie sich um.
Die Monate hinter Gittern hatten in Damián Fernández’ Gesicht Spuren hinterlassen, und Leire fragte sich, wie dieser Kerl in der Lage gewesen war, Dr. Omar umzubringen –der alte Fuchs hatte es in seinem Leben gewiss mit bedrohlicheren Gegnern aufgenommen. Aber vielleicht lag darin ja das Geheimnis: in diesem nichtssagenden Gesicht, dem Äußeren eines ganz und gar gewöhnlichen Menschen. Anscheinend hatte Fernández nur eine einzige besondere Eigenschaft, sofern nicht aufzufallen denn etwas war, dessen man sich rühmen konnte. Lediglich der blaue Fleck an seiner rechten Wange entsprach nicht dem Bild.
»Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht an mich, Damián«, begann Leire. »Mein Name ist Leire Castro.«
»Doch. Ich erinnere mich. Sie sind die Kollegin von Héctor Salgado, nicht wahr?«
Sie hatten sich nur ein paarmal gesehen, auf dem Kommissariat. Und wieder vermutete Leire, dass sich im Kopf dieses Menschen ein recht gut ausgestattetes Hirn verbarg, so dass sie auf der Hut blieb.
»Ich nehme an, Sie kommen wegen der verschwundenen Exfrau von Ihrem Chef.«
»Sie haben es erraten.«
»Warum auch sonst.« Er hob die Schultern. »Alle Besuche, die ich bekomme, haben damit zu tun. Der Inspektor selbst, mehrmals, sogar sein Vorgesetzter, am Anfang kamen sie häufiger. Jetzt ist schon lange keiner mehr hier gewesen. Ich glaube, mit der Zeit ist ihnen klar geworden, dass ich nichts zu sagen habe. Nur was Omar mir erzählt hat.«
»Und was genau hat er erzählt?«
Damián Fernández schien gelangweilt, als wollte er nicht immer wieder mit derselben Geschichte anfangen.
»An die genauen Worte erinnere ich mich nicht. Aber er hatte vor, Salgado einen echten Schlag zu versetzen. ›Er wird die schlimmste aller Strafen erleiden‹ oder so ähnlich. Omar war nie deutlich. Er mochte das Zweideutige.«
»Waren Sie denn nicht neugierig? Wollten Sie nicht wissen, was für eine Rache er plante?«
»Omar war keiner, dem man Fragen stellen konnte, Frau Castro. Und er gab sich gerne geheimnisvoll. Er sagte nur, er hätte alles gründlich recherchiert, und dann fing er an mit seinem Gerede, von wegen Ursprung des Bösen, Schicksal, Zufall … Das übliche Zeug.«
»Hat er Ihnen gegenüber erwähnt, ob Ruth, Salgados Exfrau, einmal bei ihm war?«
Jetzt schien er überrascht.
»Nein. Er hatte ein Foto von ihr, aber von einem Besuch hat er nie etwas gesagt. Und das glaube ich auch nicht. Wozu sollte sie?«
Das war die Frage. Wozu, dachte Leire. Die einzig mögliche Antwort war, dass Ruth sich verantwortlich fühlte für Héctors Ausraster und ihm helfen wollte, auch wenn es bedeutete, sich in die Höhle des Löwen zu begeben.
»Vielleicht wollte sie ihn bitten, den Inspektor in Ruhe zu lassen.«
Damián Fernández lachte.
»Dann war sie naiv. Omar war fest entschlossen, Salgado fertigzumachen. Im Grunde sollte der Inspektor dankbar sein, dass der Alte nicht mehr auf dieser Welt ist.«
»Ich bezweifle, dass Inspektor Salgado das auch so sieht«, erwiderte Leire, während sie über den nächsten Schrittnachdachte. Wenn
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